Der dreizehnte Mond
SALOME
                as given by Luisa Francia


Die königin Herodias nahm sich einen mann und überliess ihm mehr und mehr die macht in ihrem land, denn er gefiel ihr, und sie wollte ihn behalten. Ihre tochter Salome sah diese entwicklung mit besorgnis. Sah, wie der neue könig ein heer aufstellte, zum krieg rüstete, sah seine lüsternen blicke auf ihr, sah, wie er die mutter beherrschte.
Salome war in der priesterinnenschule aufgewachsen und neben vielen anderen künsten konnte sie so wundervoll tanzen, dass alle ihr zu füssen lagen, sobald sie zu tanzen begann. Salome war in körperlicher und geistiger freiheit aufgewachsen, sie hatte gelernt, lust und weisheit, heilkräfte und geschicklichkeit in sich zu wecken und zu entwickeln. Mit dem neuen könig und seinem heer änderten sich die zeiten. Es kam vor, dass frauen mit gewalt genommen wurden. Andere mussten dienen, essen auftragen, die männer amüsieren und ihnen spektakel vorführen.
Für Salome waren all diese ereignisse schockierend und bedrohlich. Hatte sie früher für ihre freundinnen und die mutter getanzt, dann fühlte sie sich frei und schön und wild. Wenn sie jetzt tanzte, kroch ein gefühl des ekels in ihr hoch, sobald sie die augen der männer sah.
Der könig hatte einen mann gefangengenommen, der gegen ihn rebellierte. Er hiess Johannes (Jochanan) und war verkünder einer neuen religion. Salome ging oft ins verliess zu ihm und liess sich diese neue religion erklären. Doch was für eine seltsame und verrückte religion war das? Der körper sollte sündig sein. Lust und tanz galten dem propheten als verderbt. Wenn sie ihm ihre brüste zeigte, wich er zurück, beschimpfte sie und betete zu seinem gott, damit er geschützt werde vor dieser frau, die so ``abgrundtief schlecht und lüstern'' war. Salome begann zu verstehen. Dieser mann verachtete nicht nur ihren körper und ihre lust, sondern auch all ihre freuden des lebens. Er verlangte, dass frauen den männern und allesamt dem grossen, eifersüchtigen, einzigen gott gehorsam waren. Fragte sie ihn, wer dieser gott sei, so begann er zu beten und zu rufen, warf sich auf die knie, bat den gott um vergebung und forderte sie auf, ihre sünden vor gott zu bekennen. Wenn sie diesen gequälten, blassen, asketischen menschen ansah, der keine lust, keine freude empfinden konnte, dem sein körper fremd und feindlich war, so begriff sie allmählich, dass eine neue, schreckliche zeit auf sie und alle frauen zukam: die zeit der feindschaft, des krieges, der macht, der männlichen autorität, der askese und körperfeindlichkeit. Die zeit des dienens und der demut für frauen. Die zeit der unterwerfung. Hier im verliess sass der prophet dieser neuen zeit. Doch draussen liefen viele andere herum, die die neue lehre predigten, die den sturz der Herodias forderten und die unterwerfung der frauen im volk.
Eines abends stieg Salome ins verliess zu Johannes. Sie schloss seine zelle auf und begann zu tanzen. Sie beobachtete ihn, sah wohl, wie der tanz ihn körperlich erregte, wie er aber seinen körper disziplinierte, sich jedes gefühl versagte und sich ins gebet flüchtete. Salome lachte und schloss die zelle wieder. Dann ging sie hinauf in den königssal, wo für gewöhnlich der könig schon auf ihren schleiertanz wartete. Auch deine art wird vom erdboden verschwinden, dachte Salome und begann zu tanzen. Sieben schleier warf sie von sich, sah die weitaufgerissenen augen und dachte an den wunsch, den der könig ihr nach beendigung des tanzes versprochen hatte. Wir werden untergehen, dachte Salome, als sie den letzten schleier nach der mutter warf: verrat! Wir werden untergehen, aber wir werden wiederkommen, mächtiger denn je! Triumphierend bog sie ihren körper zurück und rief: Den kopf des propheten will ich! Ich werde dieses zeichen setzen, auf dass niemand nach uns vergessen soll, was vor dem propheten und seiner zeit war. Auf dass die mütter es den töchtern weitererzählen: Nicht immer waren die frauen die dienerinnen der männer. Nicht immer waren unsere körper spielzeug der männer!

Salome ist die hüterin der schwelle, die durch ihre tat einen meilenstein in der geschichte der frauen setzte. Salomes grausamkeit ist nichts als ein fanal gegen die unbeschreibliche grausamkeiten der neuen herrschaft, die kommen soll. Salome blickt durch die augen des propheten in die neue zeit und setzt uns durch ihre tat eine warnung: Mit der verachtung der frauen beginnt das ende der welt.
Salome ist die frau zwischen den zeitaltern. Die letzte mächtige, unvergessen. Sie lehrt uns die magie des körpers, voller wärme und ohne sentimentalität, sinnlich hingebungsvoll, aber ohne unterwerfung. Salome ist die frau, die unterwerfung nicht kennt. Ungebrochen zieht sie sich in die einsamkeit zurück. Salome ist die dreizehnte, zwischen den welten, die verkünderin des todes - eines der grössten tabus in patriarchalischen kulturen. In der heutigen welt, in der leben, vitalität, elite, sieger und kämpfer verehrt werden, hat der tod keinen platz, der so unwiderruflich ist und sich nicht kaufen lässt.
In der gemeinschaft der frauen alter zeiten war der tod selbstverständlich, wurde gefeiert, mit festen begleitet. Geburtenregelung, die der katholischen kirche heute so widerlich ist, verhinderte das anwachsen der bevölkerung zu unerträgklichen massen, verhinderte massenhaftes kindersterben durch hunger. Die frauen allein konnten entscheiden, wie viele mitglieder der clan durchbringen konnte. Die frauen allein entschieden, ob sie ihre kinder zur welt brachten oder nicht.

cf hierzu auch

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