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Die soziale Ordnung des Marktes
Sozialpolitik als Herrschaftsinstrument
[Der Ordoliberalismus]



Prolog
aus einem Interview des "Handelsblatt" mit Kurt Biedenkopf im Januar 2018:
Wir sind tendenziell immer noch ein Volk von Untertanen. Früher war es der Kaiser, dem man untertan war. Heute sind die Sozialsysteme die Adressaten ähnlicher Erwartungen und Aufgaben. Die Politik sollte den Menschen die Abhängigkeit verweigern, auch wenn sie erst stöhnen und mit Abwahl drohen. Sie sollten sich mehr selbst kümmern, war Gerhard Schröders Überzeugung. Man hat ihn verflucht, aber zunehmend die Wohltaten genossen - am wenigsten die Funktionäre. Sie litten und leiden noch heute unter Funktionsverlust. Dagegen rückt der Tag näher, an dem Gerhard Schröder mit seiner Heiligsprechung rechnen darf.
....

1. Geht man der Ursachen der Erneuerungsbedürftigkeit des Sozialen Marktwirtschaft auf den Grund, wird man erkennen, dass es sich vor allem um ungelöste Machtfragen handelt. Immer spielen Machtfragen in ordnungspolitischen Überlegungen eine zentrale Rolle, wenn es sich
wirklich um Ordnungspolitik handelt. Franz Böhm hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass für ihn der Wettbewerb in erster Linie kein Prinzip der Effizienzmaximierung ist, sondern dass der Wettbewerb ein Prinzip der Freiheitssicherung ist, weil es sich als Entmachtungsinstrument schlechthin erweist, wie es es selbst formuliert hat.
....
Bis in die 60er Jahre ging es bei der Gestaltung der Verfassung der Sozialen Marktwirtschaft vorrangig um die Vermachtung der Märkte durch privatrechtlich begründete Marktmacht. Die Marktfreiheit war bedroht und Marktfreiheit ist immer auch ein Teil der Bürgerfreiheit. Ihr Schutz war und bleibt auf die Hilfe des Staates angewiesen. Deshalb, um noch einmal Franz Böhm zu zitieren, brauchen wir keinen flächendeckenden Staat, sondern einen starken Staat und zwar unabhängig von gesellschaftlichen und sonstigen Besitzständen, einen Staat, der in der Lage ist, die Intervention von Besitzständen auch dann zurückzuweisen, wenn er sich mit Machtgruppen zum Wohle der Gewährleistung der Bürgerfreiheit anlegt. Insofern weist unsere Wirtschaftsverfassung dem Staat die Aufgabe zu, privatrechtlich organisierte Marktmacht zu verhindern, zu zähmen und aufzulösen und so die Wirtschaftsfreiheit zu schützen. Privatrechtlich begründete Marktmacht ist mit der freiheitlich demokratischen Ordnung unvereinbar. Und dieses Prinzip hat mich in der Tat mein ganzes Erwachsenenleben begleitet. Es war mir bereits die wichtigste Begründung für die Verfassungsgemäßheit, ja für das verfassungsrechtliche Erfordernis eines Verbotes privatrechtlich begründeter Macht. Heute ist es zunehmend der Staat selbst, der in Gestalt des Sozialstaates die Entfaltung der Marktfreiheit, unternehmerischer Initiative und individueller Bürgerfreiheit und Verantwortung durche eine ständig wachsende Zahl von Interventionen, Reglementierungen und Bevormundungen behindert. Der Umfang dieser Behinderung wird einem gegenwärtig, wenn man bedenkt, dass etwas mehr als 50% unseres gemeinsam erwirtschafteten Sozialprodukts nicht in Wettbewerbsprozessen alloziiert werden, sondern durch administrative, staatliche oder gesetzgeberische Maßnahmen. Das heißt, mehr als die Hälfte dessen, was wir erwirtschaften, unterliegt unmittelbar oder mittelbar staatlicher Kontrolle, wenn es darum geht, das gemeinschaftlich erarbeitete zu alloziieren, zuzuweisen oder zu verwenden. Gesetzgeber, Regierung, Sozialverwaltung und die sogenannten Sozialverbände, insbesondere Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, sind an diesem Prozess maßgeblich beteiligt. Sie begründen ihre sozialstaatlichen, zum Teil interventionistischen Aktivitäten vor allem mit der Notwendigkeit, die Bürger zu schützen. Als ich mich mit dieser Begründung näher befasste, habe ich mich an meine erste wissenschaftliche Arbeit erinnert: die Durchführung eines Auftrages des Kollegen Mestmäcker, die Rechtsprechung des Kartellgerichts zu analysieren.
Und bei dieser Analyse ist mir aufgegangen, dass Kartelle prinzipiell für sich in Anspruch nehmen, im Sinne der Bürger zu handeln - entweder, indem sie gefährliche, nicht zuverlässige Ware vom Bürger fernhalten und sicherstellen, damit nur die gute, geprüfte Ware den Kartellbürger erreicht, oder indem sie ihn von falschen Entscheidungen in Bezug auf Konsumprozesse abhalten wollen. Wie auch immer, die Anstrengungen, die unternommen werden, um das eigentlich noch immer vorhandene schlechte Gewissen zu unterdrücken, sind eindrucksvoll. Das gilt, wie wir ebenfalls bei unserem gemeinsamen Lehrer Franz Böhm gelernt haben, ganz offensichtlich nicht für den öffentlichen Bereich. Hier galt für Franz Böhm, dass der einzige Unterschied zwischen dem staatlichen und dem privaten Monopolisten darin besteht, dass der staatliche kein schlechtes Gewissen hat, dass er also, weil er staatlich ist und staatlich handelt, für sich nicht nur die Richtigkeitsvermutung in Anspruch nehmen kann, sondern auch die Vermutung, altruistisch zu sein. Das galt und gilt insbesondere für den Sozialstaat.
Politisch legitimiert wird deshalb die inzwischen eingetretene Erweiterung des Sozialstaates über das ursprünglich entwickelte Konzept hinaus, vor allen Dingen mit dem Schutz der Bürger, und dies auch dann noch, wenn aus der Sozialstaatlichkeit eine vormundschaftliche Zuständigkeit für alle sozial relevanten Lebensbereiche abgeleitet wird. In praxi hat sich unter diesem Dach in den letzten 25 Jahren eine Veränderung der ursprünglich ganzheitlichen Betrachtung der Ordnungspolitik vollzogen. Der Sozialstaat hat sich zunehmend aus den ganzheitlichen Vorstellungen gelöst und sich verselbstständigt. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes zu einem Staat im Staate geworden. Als solcher ist er ausgestattet mit einer eigenen Binnenverfassung in Gestalt der sozialen Selbstverwaltung - für die es im übrigen auch Wahlen gibt, eher Karikaturen von Wahlen, aber dennoch Wahlen -, der konzertierten Aktion und der runden Tische, die in ihrer sozialpolitischen Gesamtheit in der politischen Praxis weitgehend autark handeln können. Diese Sozialmacht - und das ist das entscheidende ordnungspolitische Anliegen - ist auch Macht und zwar Macht, die durchaus in der Lage ist, die Freiheiten von Bürgern nachhaltig zu beschränken. Sie gefährdet das Subsidiaritätsprinzip, das heisst die Erstverantwortlichkeit des Menschen für sich und seine Familie und damit für die verantwortete Freiheit.
Die von ihr bewirkten Beschränkungen der Freiheit sind inzwischen weitgehnder als die, die von der Wirtschaftsmacht ausgehen. Die Gefahr, die von einer derartigen Entwicklung ausgeht, war bereits 1955 beschrieben worden und zwar von vier Professoren, unter ihnen der spätere Kardinal Höffner. Adenauer hatte sie gebeten, ihn in Sachen Entwicklung des Sozialstaates zu beraten. In ihrer Denkschrift ``Neuordnung der sozialen Leistungen'' stellten sie zur Rolle des Staates in der sozialen Ordnung u.a. fest: ``Der Staat dient der sozialen Sicherheit dadurch am meisten, dass er die persönliche Verantwortung seiner Bürger, das Sorgen und Versorgen der Familien und der anderen kleinen Lebenskreise sowie der genossenschaftlichen Selbsthilfe anerkennt und sich entfalten lässt.''

2. Es entspricht den Prinzipien der Solidarität und Subsidiarität, dass der Staat nach Mitteln und Wegen sucht, jene Bevölkerungsschichten, bei denen die Eigensicherung weithin durch die soziale Sicherung ergänzt bzw. ersetzt werden muss, gegen die Risiken der basic needs - und es ist interessant, dass man dieses englische Wort verwendet - zu sichern. Gerade bei den Maßnahmen der staatlichen Sozialpolitik ist freilich darauf zu achten, dass Freiheit und menschliche Würde nicht gefährdet werden [zu diesbezüglichen Exzessen siehe
hier]. Und die nächste Feststellung, die ich des Zitierens würdig halte, lautet: ``Es darf nicht verkannt werden, dass auch in der westlichen Welt'' - man hatte sich mit dem kommunisitischen System befasst - ``die Gefahr besteht, die soziale Sicherung, unter Ausschaltung der Selbsthilfe und der Leistungskraft der kleineren Lebenskreise, unmittelbar dem Staat, der damit zum Versorgungsstaat wird, zu übertragen.'' Schließlich noch eine sehr eindrucksvolle Warnung aus dem Jahre 1955: ``Der Lähmung der Eigenverantwortung bei vielen Einzelmenschen entspricht auf staatlicher Seite in manchen Ländern die Überbetonung des Versorgungsprinzips, kraft dessen der Staat aus Steuermitteln allen seinen Bürgern die soziale Sicherheit gewähren müsse. In totalitären Staaten pflegt hinter solchen Bestrebungen die Tendenz zu stehen, die Institutionen der sozialen Sicherheit zu einem Herrschaftsinstrument zu machen.'' Die beteiligten vier Gelehrten lassen nicht unerwähnt, dass diese Tendenz sich auch in freiheitlichen Ordnungen breit machen und auch dort Sozialpolitik zu einem Herrschaftsinstrument werden kann.
Wir können inzwischen feststellen, dass trotz eines enormen Anwachsens der Leitsungsfähigkeit der Mehrheit der deutschen Bevölkerung die von Ludwig Erhard angestrebte Konsequenz, dass nämlich mit wachsendem Wohlstand auch die Fähigkeit zur Selbstverantwortung wachsen werde, nicht gezogen worden ist.
Was Ludwig Erhard schon in den 50er Jahren beunruhigte, war das von ihm beobachtete Phänomen, dass mit wachsendem Wohlstand und mit wachsender eigener Fähigkeit zur Selbstvorsorge die Forderungen nach staatlicher Leistung immer größer werden. Der Staat, insbesondere auch die politischen Kräfte, haben dieser Forderung entsprochen. Der Facharbeiterhaushalt hatte in den 50er Jahren eine Kaufkraft, die heute der Leistung der Sozialhilfe entspricht. Der Anspruch des damaligen Sozialstaates an das Bruttoinlandsprodukt betrug 23%. Heute, nachdem sich diese Kaufkraft real fast verfünffacht hat, beträgt der Anspruch des Sozialstaates an das Bruttoinlandsprodukt über 30%. Das heißt, es hat keine Substituierung von staatlicher durch private Verantwortung und Leistungsfähigkeit stattgefunden, sondern das Gegenteil.
Ich halte es für die weitere Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft für unabdingbar - insbesondere die Verständigung über ihre Aufgaben und Ziele -, dass wir der Frage nachgehen und zwar sehr intensiv und breit angelegt, was die Ursachen für dieses Phänomen sind. Zu dieser Ursachenforschung gehört insbesondere die Antwort auf die Frage, wie es möglich ist, in einer unter demokratischen Bedingungen immer wohlhabenderen Umgebung die Bereitschaft aufrecht zu erhalten, sich durch ein Sozialsystem bevormunden zu lassen, das einen wachsenden Anteil am Bruttoinlandsprodukt für sich in Anspruch nimmt. Warum ist das so? Was sind die Mechanismen, die eine beachtliche Mehrheit der Bevölkerung veranlasst, sich in dieser Weise zu verhalten?
Ich will nur ganz wenige Sätze der Erklärung anbieten, eigentlich mehr als Anregung, denn als Ergebnis. Da ist zum ersten die Tatsache: Die Abhängigkeit des größeren Teils der Bevölkerung vom Sozialstaat ist ständig gewachsen. Eine Rückkehr zu einer geringeren Bevormundung durch den Staat erscheint diesem großen Teil der Bevölkerung daher als ein besonders großes Risiko. Zweitens durchschaut die Bevölkerung die Zusammenhänge des Systems nicht mehr und glaubt deshalb, das System sei für sie vorteilhafter als ein höheres Maß an Eigenverantwortung. Sie hat sich drittens davon überzeugen lassen, alle nichtstaatlichen Formen der Risikobewältigung seien dem staatlichen Kollektivsystem unterlegen. Das ist insbesondere in der Rentendebatte deutlich geworden. Alle Anstrengungen, darauf hinzuweisen, dass die kollektive Versorgung im Rentensystem, gemessen an Renditen, eine sehr viel geringere Leistungsfähigkeit hat als vergleichbare private Einrichtungen, erscheinen vergeblich. Die Mehrheit der Bevölkerung ist zwar objektiv in der Lage, mehr Eigenverantwortung zu leisten, sie traut es sich aber subjektiv nicht zu. Jedenfalls war das bis vor kurzem so. Jetzt fangen die Indizien langsam an sich zu vermehren, dass die Bevölkerung Vertrauen in die privaten Systeme begründet und damit - und das ist sehr interessant - zu einer stärkeren individualisierung der kollektiven Systeme beiträgt. Das war ein ganz entscheidender Durchbruch bei der Einführung der privaten Altersvorsorge in den Rentenkonsensgesprächen.
Aber die Reaktion des Systems ist noch eindrucksvoller: Man hat alle Anstrengungen unternommen, um die so in Gang gesetzte Individualisierung wieder einzufangen und zwar durch eine umfassende Reglementierung der Anlagesysteme sowie durch eine Präferenz für kollektive Systeme gegenüber individuellen. Das heißt, man hat weitgehend das, was man mit der Individualisierung der Alterssicherung angestrebt hat, wieder zurückgenommen. Und schließlich erscheint - es sprechen jedenfalls alle Indizien dafür -, dass die Mehrheit im Staat die Garantie für eine Sicherheit vor Lebensrisiken sieht, die auf andere freiheitliche Weise sie zu organisieren sie sich nicht zutraut. Es ist in meinen Augen auch gerade unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten bedeutsam, dass man den polititschen Strukturen nachgeht, die zu einer solchen Verhaltensweise beitragen oder sie gar fördern.
Ein ganz wichtiges Element in diesem politischen Prozess, dem ich mich im abschließenden Teil meiner Rede zuwenden möchte, ist der Begriff der ``kleinen Leute''. Ich habe 1986 als Oppositionspolitiker im nordrhein-westfälischen Landtag in einer Debatte über sozialpolitische Fragen einmal der sozialdemokratischen Mehrheit zugerufen: ``Die kleinen Leute sind groß geworden!'' Das hat zu einer stürmischen Empörung bei der Mehrheit beigetragen. Dieselbe politische Partei, die im neunzehnten Jahrhundert zunächst Arbeiterbildungsvereine gründete, um den Proletarier durch Aneignung von Bildung dem Bürger in seiner Selbstständigkeit ähnlich werden zu lassen, wehrt sich heute mit großer Entschiedenheit gegen die Erfolge ihrer früheren Politik. Sie wehrt sich dagegen, dass es gelungen ist, die Arbeitnehmer, die sie damals völlig zurecht in Schutz nahm - wenn auch in einem sehr viel geringeren Umfang, die Bismarck'sche, Lassalle'sche Sozialversicherung hat nichts mehr gemeinsam mit der umfassenden Risikoabdeckung der heutigen Systeme -, also den vierten Stand zu verbürgerlichen auf einem langen, sehr harten und schwierigen, von vielen Auseinandersetzungen begleiteten Prozess.
Es ist erstaunlich - und die Frage ist untersuchenswert -, warum sich heute weite Teile der politischen Klasse gegen die Akzeptanz dieser Veränderungen wehren, ja sogar diejenigen, die die Selbstständigkeit eines immer größeren Teils der Bevölkerung behaupten, als Leute bezeichnen, die auf dem Wege seien, die Sozialsysteme zu zerstören und den sozialen Frieden zu gefährden.
Es kann nicht ohne Grund sein, dass diejenigen, die sich vor 150 Jahren auf den Weg gemacht haben, die Arbeiter aus der Abhängigkeit zu befreien, jetzt so großen Wert darauf legen, dass sie - jedenfalls sozialpolitisch gesehen - in dieser Abhängigkeit verbleiben, mit der Begründung, sie seien dort besser aufgehoben. Dabei gibt es einen entscheidenden Zusammenhang - und darum geht es mir hier - zwischen dieser mentalen Prägung in einer zu hohem Wohlstand aufgestiegenen Bevölkerung auf der einen Seite und unserer Hoffnung, eine Bürgergesellschaft oder eine Civil Society aufzubauen.
Die Civil Society und die Abhängigkeit von großen Teilen der Bevölkerung in kollektiven Systemen ist zu einem wesentlichen Teil inkompatibel. Die Bürgergesellschaft setzt eine Würdigung des Subsidiaritätsprinzips in einem Umfang voraus, wie es die gegenwärtigen sozialen Systeme nicht zulassen. Es kann sich aber diese Civil Society - jedenfalls im ordnungspolitischen Sinne - nur entwickeln, wenn die Bürger sich in ausreichendem Umfang die Fähigkeit zur Eigenverantwortung oder zu in kleineren Lebenskreisen oder -einheiten wahrgenommener Verantwortung zutrauen und sich auf diese Weise von dem immer in jedem Staatsgebilde angesiedelten Machtstreben qua Vormundschaftsbegründung emanzipieren.
Diese Lösung aus dem Bedürfnis von Bürokratien, Vormundschaft auszuüben, ist ein wesentliches Element der Civil Society. Die Kreativität der Bürgergesellschaft beruht ja gerade darauf - der Kollege Starbatty hat darauf hingewiesen -, dass der Wettbewerb nicht nur ein freiheitssicherndes und machtauflösendes Element ist, sondern vor allen Dingen ein Innovationsprozess.
Wir haben uns, als wir in Sachsen anfingen - ich habe viele lobende Worte über diesen Prozess gehört -, vorgenommen, dass wir uns nicht scheuen, Fehler zu machen, weil wir sonst gar nichts tun; denn alles, was wir entscheiden mussten, war ohne Vorbild. Wir haben uns allerdings auch vorgenommen, große Anstrengungen zu unternehmen, die Fehler schnell zu entdecken, und wir haben uns vorgenommen, viele an der Problemlösungssuche zu beteiligen, aus dem ganz einfachen Grund, dass zentral gemachte Fehler alle treffen, dezentral gemachte nur einige. Zentralistisch gemachte Fehler sind nicht korrigierbar, weil es gewissermaßen keine alternative Kraft gibt, die sie korrigieren will, währen regional oder in kleinen Einheiten gemachte Fehler durch Wettbewerb schnell korrigiert werden. Diese Zusammenhänge zwischen Civil Society und Sozialsystem beleuchten erneut die große Kraft der ordnungspolitischen Idee, die nämlich in allen drei Bereichen - Wirtschaft, Arbeit und Sozialsystem - ein durchgängiges Muster hat.
Böhm hat darauf hingewiesen, dass die Genialität des Marktes auch darin zu sehen ist, dass er aus ganz einfachen Bausteinen ein ungeheuer komplexes System baut. Es ist dies genau der Unterschied zwischen Komplexität und Kompliziertheit. Komplexe Systeme bestehen aus einfachen Bestandteilen, aber in einer großen und weit angelegten Vernetzung; und eines der genialsten Systeme von Interdependenzen und Vernetzung ist der Markt selbst. Diese genialen Systeme haben eine allgemeine Gültigkeit - wir kommen inzwischen durch unsere Erfahrungen beim Aufbau Ost darauf. Wir stellen fest, dass das Netzwerk der Hierarchie überlegen ist, und wir stellen weiter fest - und das ist uns genauso wichtig für die weitere Entwicklung -, dass nicht mehr die Arbeit das Kapital sucht, sondern das Kapital das Wissen und dass dieses Wissen als die knappste Ressource der Wirtschaft einer Wirtschaftsordnung bedarf, in der sich Wissen und die Umsetzung von Wissen in wirtschaftliche Tätigkeit im weitesten Sinne des Wortes in einer großen Breite entfalten kann. Nur wenn diese große Breite gewährleistet ist - und dafür müssen alle drei Bereiche Wirtschaft, Arbeit und Soziales einen Beitrag leisten -, kann Wissen die segenstiftende Wirkung entfalten, die ja nicht nur in einer Mehrung des Wohlstandes, sondern auch in der Sicherung von Freiheit liegt.
Es kam mir darauf an, in meinen Dankesworten zum Ausdruck zu bringen, welche große ordnungspolitische Aufgabe auf uns wartet und zwar auch deshalb, weil ohne ein ordnungspolitisches Grundgerüst die Aufgaben, vor denen wir stehen, nicht bewältigt werden können. Und diese Veränderungen müssen in den Köpfen der Menschen beginnen. Wenn die Menschen, also unsere Bürgerinnen und Bürger, überwiegend der Meinung sind, dass es für sie einen positiven trade off bedeutet, wenn sie Freiheit und Verantwortungsrechte an den Staat delegieren und damit seine vormundschaftliche Stellung stärken, wenn er denn nur bereit ist, die kleinen Freiheiten zu gewähren, dann wird es dieses Umdenken nicht geben. Deshalb ist der Kampf um die Soziale Marktwirtschaft auch ein Kampf um das Denken der Bürgerinnen und Bürger und wir können uns diesen Kampf gar nicht bedeutsam genug vorstellen.
Ich möchte der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft dafür danken, dass sie sich seit so vielen Jahren diesem Kampf widmet

Prof. Dr. Kurt Biedenkopf in seiner Rede zur Entgegennahme der Alexander-Rüstow-Plakette 2001 der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft e.V. am 18. Juni 2001 im Atrium der Dresdner Bank in Frankfurt am Main, abgedruckt im ASM Bulletin 02/2001 unter dem Titel `Sozialpolitik als Herrschaftsinstrument'




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