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Schulübergänge und Globalisierung

Das KlassenBildungsSystem - Hans Dichgans (CDU) 1968

Studie zur Bildungsgerechtigkeit

Soft skills - Was ist Bildung ?

Bemerkungen zur Bildung

Mehr zum Thema Schule und Bildung




Entwurf zum Thema Schulübergänge
Zur Pressekonferenz des Vorstandes des LEB-BW 15jun05


Die deutsche Gesellschaft steht derzeit im Schnittpunkt zweier großräumig ablaufender Entwicklungen. Die eine Dimension, die räumliche und materielle, sind der durch die Globalisierung bewirkte Fluss kondensierter Wirtschaftskraft in Form von Investitionen nach außen und der Gegenstrom billiger Arbeitskraft nach innen. Die andere Dimension, die zeitliche und ideelle, ist der durch die Befreiung des Einzelnen bewirkte Umbau der Gesellschaft, abzulesen an der sich verschlankenden Alterspyramide. Unverblümt: Es stirbt die Familie, und es sterben die Kinder aus.
Jedes zweite Kind wächst ohne Geschwister auf, eine zunehmende Zahl ohne `Eltern' im traditionellen Sinne. Dies führt zu einer Verkürzung des sozialen Lernens, indem das Kind Forderungen nach frühem erwachsen werden unterliegt, beispielsweise `partnerschaftlich' Entscheidungen mit dem verbliebenen Elternteil mitzutragen hat; sowie zu einer Verflachung, indem die wechselseitigen Rollen des Lehrenden und des Lernenden unter `Gleichen' in der Heterogenität der Familie nicht mehr besetzt sind. Existiert diese nicht mehr, muss die Gesellschaft die erfolgreiche `Eroberung' der gemeinsamen kulturellen Umwelt durch andere Formen des Lernens ermöglichen. Die fehlenden Geschwister dürfen nicht durch Spielkonsolen und Fernsehserien ersetzt werden.
Das Erlernen der (insbesondere in einer auf friedliche Koexistenz zielenden Demokratie) dringend notwendigen kulturellen Fertigkeiten muss in einer lebendigen Gemeinschaft erfolgen. Das Kindergartenalter mit seinem Gewicht für das Lernen findet neuerdings besondere Beachtung; es darf jedoch nicht allein für Zwecke der Schulbildung instrumentalisiert werden - dem Menschen muss bei aller gesellschaftlich notwendig erscheinenden Zielgerichtetheit eine Zeit der Kindheit bleiben, der Übergang in die Schule muss von einer Schuleingangsuntersuchung begleitet werden.
Das kulturelle Lernen umfasst über den in der Regierungserklärung vom 27. April angekündigten `Ausbau der Betreuung' hinaus auch und insbesondere die Schul-Zeit. Der im Schulwesen von unserer Gesellschaft eingeschlagene Weg ist einer der Verallgemeinerung in der Sonderung. Die Kinder müssen der Schulpflicht nachkommend in eine normative Schule, welche sie dann nach bestimmten Kriterien in Kategorien der (vermeintlich) gleich(begabt)en sondert und innerhalb derselben gleichzumachen versucht. Dabei treibt allein schon der Ansatz, in Kategorien zu ordnen, die dem Vorgang unterworfenen Subjekte diesen Kategorien zu. So kündigt sich die nach der vierten Grundschulklasse erfolgende Sonderung bereits massiv an in der dritten Klasse - die Zeit unbeschwerten Lernens dauert nicht mehr als zwei Jahre; Schule kann leicht zur Last werden.
`Gleich' sein ist aber nicht wirklich möglich, eine (Normal-)Verteilung (der Begabungen etc.) gibt es selbst in der engsten Auswahl. Auch haben die Bundesländer unterschiedliche Lehrpläne, und ein Umzug kann zu nahezu unüberwindlich scheinenden Reibungen führen. Als Alternative zu immer weiter verfeinerten Sonderungen (in Hochbegabtenschulen beispielsweise) sind deshalb die Möglichkeiten einer Dynamisierung des Lernens zu untersuchen, eben auch durch Zulassen der natürlichen Heterogenität beispielsweise in Form einer längeren gemeinsamen Schulzeit mit zeitlich aufeinander folgenden, nicht parallelen, Abschlüssen. Zudem wirkt die oben erwähnte materielle Dimension der Entwicklung auf die Schule ein - die wenigen verbliebenen Kinder finden, anders als in vergangenen Jahren der Hochkonjunktur, einen Arbeitsmarkt, welcher sie nicht will, zumindest nicht als `nur' Hauptschüler.
Von Seiten der Wirtschaft kommen Forderungen nach Veränderungen des Schulsystemes in Hinblick auf den aus wirtschaftlicher Notwendigkeit sich ergebenden Umbau in eine auf Teams setzende Wissens-Wirtschaft. Hier ist organisches Lernen gefragt anstelle von Kadergehorsam und Frontalunterricht. Auch die Schule selbst muss lernen dürfen, eigenverantwortlicher werden also, und nicht gleichgemacht durch den `Klassenausgleich'

Dr. Gunfried Geiger 15jun05

[ Aus SPIEGEL TV DVD No. 6 (2007), Wettlauf um die Welt / Die Globalisierung und ihre Folgen, Kapitel 3: Deutschland global - die tägliche Herausforderung
Doch selbst Elite-Hochschulen wie der TH Aachen fehlen für das Studium Bewerber aus dem Inland ....
Jeder zweite deutsche Student an der Elite-Uni ein Abbrecher. Eine gigantische Verschwendung von Geld, Zeit und Talenten. Ursache: mangelnde Schulbildung ....
Keine Frage, das deutsche Bildungswesen ist den Herausforderungen der Globalisierung nicht gewachsen. Ein System, das schon an den Ausländern im eigenen Land scheitert, wird sich kaum unter den Ausländern im Rest der Welt behaupten können ....
(Andreas Schleicher) Das dreigliedrige Schulsystem ist Ausdruck einer Ideologie, die sich am 19. Jahrhundert orientiert
]




Nachtrag zur Geistesgeschichte des Länger-Gemeinsam-Lernen:
Dichgans, Hans, Das Unbehagen in der Bundesrepublik. Ist die Demokratie am Ende?
Düsseldorf/Wien, 1. Auflage 1968

Hans Dichgans [1907-1980] war 1961 bis 1972 Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Einige Auszüge, zusammengestellt von men-kau-ra nach einer Anregung von Prof. Dr. Roland Merten, Jena (02may2007)

p189f: Wenn man sich mit Amerikanern über unseren technischen Rückstand, das viel besprochene "Technology gap", unterhält, nennen die Amerikaner stets als erste Ursache "education".
Unser Bildungssystem sollte uns daher mit einem tiefen Unbehagen erfüllen. Nach 1945 hätten wir die Chance gehabt, uns das modernste Bildungssystem der Welt zu verschaffen. Aber wir hatten nichts im Sinn als das Ziel, die Zustände des Jahrs 1932, in der übrigen Welt längst überholt, im Stile einer antiquierten Bildungs-Klassen-Gesellschaft möglichst exakt wiederherzustellen. Alle Autorität, die ein Gesamtkonzept der Bildung hätte festlegen können, wurde zerstört. Die Spezialisten erhielten freie Hand, die Interessen ihres Fachs kräftig zu fördern. Immer neue Fächer kamen hinzu, ohne dass die Qualifikation für den Beruf deshalb besser geworden wäre. Am Ende wurde das deutsche Bildungswesen, das viele seiner Zöglinge erst nach dem 30. Geburtstag ins Leben entlässt, ein monströses Unikum.

p193: Unser traditionelles deutsches Bildungssystem, nach dem Zweiten Weltkrieg so konservativ wie möglich restauriert, ist ein Klassensystem: Die Abstufung Gymnasium - Realschule - Volksschule war in der ursprünglichen Vorstellung, die noch bis in die sechziger Jahre unseres Jahrhunderts nachwirkte, nicht nur eine Klassifizierung gut - mittel - dürftig, sondern auch eine Gliederung nach den Klassen der Gesellschaft, den sozial gehobenen Schichten, dem Mittelstand, den Arbeitern. Im Anteil der Arbeiterkinder an den Abiturienten liegt die Bundesrepublik immer noch am Ende der Weltskala.

p194: Die Bundesrepublik bremst den Zugang zur Hochschule durch eine leidvolle Folge alljährlichen Sitzenlassens. Im Ausland gibt es andere Verfahren.

p195f: Nun können und wollen wir gewiss nicht ein ausländisches Bildungssystem in Bausch und Bogen bei uns einführen. Auch am Abitur, das zu unserem organisch gewachsenen System gehört, sollten wir im Grundsatz nichts ändern. Wir sollten aber das System kräftig modernisieren.
....
Dann müsste auch in Deutschland mit zwölf Schuljahren bis zum Abitur auszukommen sein, wie überall sonst in der Welt, und das Abitur wäre auch bei uns mit 18 Jahren erreichbar.

[ Anmerkung:
Bildungsexpertin Prof. Heike Solga, Wissenschaftszentrum Berlin, am 13jun2008 in der SüdWestPresse p4 auf die Frage nach den Ursachen für das hartnäckige Festhalten an der Haupschule:
"Bildung ist zum wichtigsten Gut geworden, das man vererben kann. Eltern vererben ja nicht mehr wertvolle Adelstitel und auch eher selten Unternehmen oder hohe Vermögen. Wenn sie ihren Kindern den gleichen oder einen besseren Lebensstandard ermöglichen wollen, dann müssen sie ihnen eine gute Bildung sichern. Dafür braucht man die Dreigliedrigkeit, denn sie beschränkt durch die Auswahl den Zugang. Es wird heute ein ganz harter gesellschaftlicher Kampf geführt, ob man das exklusive Eintrittsrecht für Bildung, das maßgeblich von der sozialen Schicht abhängt, aufgibt oder aufrecht erhält"
Die höheren Schichten wollen also ihre Kinder vor neuer Konkurrenz abschotten und sind deshalb für die Beibehaltung der Dreigliedrigkeit?
"Darum geht es - und nicht um die Frage, was gutes Lernen ist"
].



Bildungsgerechtigkeit

Jahresgutachten 2007
des
Aktionsrat Bildung
der
Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. (Hrsg.) - vbw


Quelle: http://www.aktionsrat-bildung.de/fileadmin/Dokumente/
    Bildungsgerechtigkeit_Jahresgutachten_2007_-_Aktionsrat_Bildung.pdf

Notizen zu den Verfassern unter
http://www.aktionsrat-bildung.de/index.php?id=17

Kommentar unter
http://www.heise.de/bin/tp/issue/r4/
    dl-artikel2.cgi?artikelnr=24881&zeilenlaenge=72&mode=html


Diese Zusammenstellung erhebt weder den Anspruch auf Vollständigkeit noch Objektivität der Auswahl

[in eckigen Klammern und schwarz gehalten stehen
ergänzende Zusammenfassungen etc. aus dem Urtext]

[ in eckigen Klammern und farbig gehalten stehen
eigene Ergänzungen
]

[Seitenangaben so: p154f steht für `Seite 154 folgende']


Überblick

ℵ Bildungsungerechtigkeit ist ein syndrom, für das unter anderem eine kollektive verantwortungslosigkeit gegenüber dem niedrigen leistungsstand des Bildungssystems ursächlich ist
p156

ℵ Grundlage der friktionen im deutschen bildungswesen ist die vorherrschende falsche meinung, eine hohe durchschnittliche leistungsfähigkeit gehe einher mit hoher unterschiedlichkeit (heterogenität) p135

ℵ Schaffung von Bildungsgerechtigkeit ist nicht zu verwechseln mit sozialer gleichmacherei p19, p20, p116

ℵ Die schaffung von Bildungsgerechtigkeit ist immer zu sehen unter dem aspekt des gesamtgesellschaftlich vertretbaren und vernünftigen umgehens mit den ressourcen
p21. Wie diese analyse zeigt, kann, ja muss sie gerade auch deshalb geleistet werden p116, p145 [sowie (externe quelle) International Adult Literacy Survey - Literacy scores, human capital and growth across 14 OECD countries - persönliche Zusammenfassung; diese studie legt einem/r rational und martkwirtschaftlich handelnden volk/swirtschaft dringend nahe, in die unteren bildungsschichten zu investieren].

ℵ Gute bildung ist weniger eine frage des geldes. Das deutsche bildungssystem leidet weniger an unterfinanzierung als unter ineffizienten strukturen p117

ℵ Private schulträger und öffentliche finanzierung [Charter-Schools] sind die effektivste option für effizienz p93

ℵ Der unterrichtsalltag in Deutschland verschärft die leistungsstreuung anstatt sie abzumildern p74 bis p81

ℵ Die deutschen lehrkräfte sind schlecht vorbereitet auf individuelle förderung, das studium ist zu fachspezifisch aufgebaut p102 bis p110

ℵ Die durchlässigkeit nach oben muss erhöht werde anstatt weiterhin "abzuschulen" p52

ℵ Besonders an den internen übergängen wirkt das deutsche bildungssystem hoch selektiv. Die grundschulempfehlung ist sehr entscheidend und sehr of falsch, etwa die hälfte der späteren hauptschüler wird falsch zugewiesen p47f, p136ff

ℵ Je jünger der lernende, desto höher die effizienz der bildungsausgaben, ganz konträr zur deutschen praxis p118ff

ℵ Von sehr großer wichtigkeit ist die förderqualität der kindergärten p40, weshalb ein verpflichtender besuch desselben ab dem fünften lebensjahr sinnvoll ist p146

ℵ Geschlechtsspezifische bildungsunterschiede konnten im zuge der `Bildungsexpansion' massiv abgebaut, der einfluss der sozialen herkunft in den meisten Industrieländern, insbesondere in Deutschland, kaum reduziert werden p125; durch den modernen `heiratsmarkt' wird die abschottung der bildungsdomänen verstärkt (`bildungshomogamie') p131

ℵ Ganztagsschulen, insbesondere ganztagsgymnasien, können kindern aus bildungsfernen elternhäusern das zu hause fehlende anregungsreiche lernmilieu bieten p53
und bewirken - deutlich nur in der gebundenen form - auch eine verbesserung des sozialverhaltens p83 ff, auch p151

ℵ Der sekundarbereich I sollte zweigliedrig (Sekundarschule und Gymnasium) angeboten werden p147

ℵ Schulautonomie in personal- und prozessfragen und externe evaluation sind einzuführen p152

Das Fazit der Autoren selbst


Auszüge


1 Bildungsgerechtigkeit - Begriff, Legitimation und Grenzen

p19
Das abendländische Gerechtigkeitsdenken setzt bei Platons Begrifflichkeit ein. Gerechtigkeit heißt hier, dass jeder das Seine zu tun hat.
....
Und bei Hegel (1989) schließlich ist die Gerechtigkeitsvorstellung in den Typus von Rechtsgleichheit, nicht von sozialer Gleichheit, überführt worden.
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p20
Auch juristisch lässt sich eine Synonymisierung von Gerechtigkeit und Gleichheit nicht rechtfertigen. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland kennt keinen Anspruch auf materielle Gleichheit, sondern nur auf Gleichheit vor dem Gesetz (vgl. Randelzhofer 1997).
....
Für das Jahresgutachten des AKTIONSRATS BILDUNG ist es im Folgenden deshalb darauf angekommen, dass der Bericht nicht nur die soziale Selektivität des Bildungssystems dokumentiert und nicht nur politische Entscheidungen bewertet, sondern dass dieses auch immer vor dem Hintergrund der Rationalität eventueller Maßahmen geschehen muss.
....
... muss die Gesellschaft als Ganzes von den zu fördernden Personengruppen einen maximalen Beitrag zum Erfolg der Bildungsmaßnahmen erwarten.
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p21
Dazu sind die pädagogisch Verantwortlichen mit den rechtlichen und materiellen Ressourcen so auszustatten, dass sie diese erforderliche Disziplin durchsetzen können, was sie übrigens auch wollen. Bildungsgerechtigkeit wird grundsätzlich durch Freiheitseinbußen erkauft.
....
In einer Gesellschaft, in der Freiheit konstitutionell die oberste Norm darstellt, lassen sich Freiheit einschränkende, Gerechtigkeit stiftende Maßnahmen deshalb nur rechtfertigen, wenn sie langfristig, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Freiheitsmaß aller und der Gesamtgesellschaft gegenüber dem Status quo vergrößern.
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2 Heterogenität
....
p23
Vielfalt ist in einem hohen Maße erwünscht, sie ist Grundtatsache unserer menschlichen Existenz und eine entscheidende Bedingung der individuellen und gesellschaftlichen Entwicklung.
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p24
PISA .... Wenn man will, kann man diesen Befund so interpretieren, dass deutsche Jugendliche im Vergleich zu denen anderer Staaten in gewisser Weise "benachteiligt" sind, denn sie erhielten offensichtlich nicht die gleichen Chancen, ein entsprechend hohes Kompetenzniveau zu entwickeln.
....
Dabei fällt vor allem auf, dass Staaten der internationalen Spitzengruppe (z. B. Finnland, Korea, Niederlande, Kanada) ein sehr hohes durchschnittliches Leistungsniveau bei einer gleichzeitig relativ niedrigen Streuung erreichen. Dieser Befund widerspricht der in Deutschland weit verbreiteten Überzeugung, dass eine hohe durchschnittliche Leistungsfähigkeit notwendig mit einer sehr hohen Unterschiedlichkeit einhergeht.
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p27
Die für Deutschland festgestellte Diskrepanz zwischen Problemlösefähigkeit und mathematischer Kompetenz belegt, dass die kognitiven Potenziale vieler (insbesondere leistungsschwächerer) junger Menschen noch nicht ausgeschöpft sind. Anders formuliert: Eine Stärkung der Kompetenz im unteren Leistungsbereich würde in Deutschland die Streuung reduzieren und zugleich das Durchschnittsniveau anheben.
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p28
Insgesamt können somit die Unterschiede zwischen den Ländern nur zu einem geringen Teil auf Rahmenbedingungen zurückgeführt werden.Dieses Ergebnis bekräftigt die Vermutung, dass für die Unterschiede zwischen den Ländern Qualitätsunterschiede in bildungsrelevanten Einrichtungen (einschließlich Familien) eine wichtige Rolle spielen. Damit wäre eine Gruppe von Einflussfaktoren im Blick, die eher (professionell) entwickelt werden könnte, als etwa die soziale Zusammensetzung der Bundesländer.
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p30
Internationale Vergleichsstudien wie PISA zeigen, dass in allen Staaten bedeutsame Zusammenhänge zwischen Merkmalen der sozialen Herkunft und der Kompetenz in unterschiedlichen Domänen bestehen. .... Betrachtet man wiederum die Abstände in den Staaten mit internationalen Spitzenleistungen, dann fallen diese mindestens 20 Punkte (Niederlande), oft aber sogar 40 Punkte (Finnland, Korea, Japan, Kanada) geringer aus. Dieser Befund kann als Hinweis genommen werden, dass ein hohes Leistungsniveau in keinem Widerspruch steht zu einer schwachen Kopplung zwischen sozioökonomischer Herkunft und Kompetenz.
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p31
Die Merkmale der sozialen Herkunft hängen auf der anderen Seite mit der Bildungsbeteiligung, also der Schulart zusammen, die von den Jugendlichen besucht wird. Die relative Chance, dass sie das Gymnasium besuchen, ist für Jugendliche aus dem obersten Viertel der Sozialschicht um ein Mehrfaches höher als für Jugendliche aus den unteren Sozialschichten (ca. siebenmal so hoch gegenüber dem Bezugswert des zweiten Viertels von unten)
....
An diesem Befund, auf den erstmals bei PISA 2000 aufmerksam gemacht wurde, hat sich bisher (bei PISA 2003) nichts geändert.
....
Auch innerhalb Deutschlands erreichen die Länder Bayern, Sachsen und Thüringen ein Kompetenzniveau über dem OECD-Durchschnitt bei einer (im innerdeutschen Vergleich) niedrigen Kopplung zwischen Herkunft und Kompetenz ...
Diese Länder wiederum weisen einen relativ kleinen Anteil von Schülern auf oder unter der ersten Kompetenzstufe auf. Die Förderung leistungsschwacher Schüler (bzw. vielleicht auch nur das Verhindern eines leistungsmäßigen Abdriftens) dürfte ein erster wichtiger Ansatzpunkt sein, um den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Kompetenzniveau in Deutschland zu verringern.
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p33
In einer Reihe von Staaten sind keine (Kanada, Australien) oder nur teilweise signifikante (Neuseeland, USA) Unterschiede zwischen den Migrationsgruppen zu beobachten. Dieser Befund unterstreicht, dass sich die Migrationssituation in Staaten mit einer gezielten (und selektiven) Einwanderungspolitik deutlich anders darstellt als in den europäischen Staaten, die ganz andere Zuwanderungskonstellationen aufweisen.
....
Jugendliche mit Migrationshintergrund schneiden in den Tests vor allem auch deshalb schlecht ab, weil sie aus Familien mit einem sehr niedrigen sozioökonomischen Status kommen.
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p36
In den europäischen Staaten werden sich die Probleme nicht allein mit pädagogischen Mitteln lösen lassen.
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3 Übergänge im Bildungssystem
p38
Ältere Kinder besuchen deutlich häufiger einen Kindergarten als jüngere (2002: 59 Prozent der Dreijährigen, 93 Prozent der Fünfjährigen); Kinder aus bildungsfernen Milieus und/oder Kinder mit Migrationshintergrund erfahren seltener bzw. zeitlich kürzer den Bildungsort Kindergarten, obwohl die Unterschiede hier eher moderat sind.
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p39
Als ein Defizit des Kindergartens in Deutschland wird an verschiedenen Stellen auf das Ausbildungsniveau des Fachpersonals verwiesen (Fachschulniveau). Mit Ausnahme von Deutschland und Österreich ist in allen Ländern Europas die Ausbildung zumindest für einen Teil des pädagogischen Personals in vorschulischen Bildungseinrichtungen auf Hochschulniveau angesiedelt. Das "niedrigere" Ausbildungsniveau in Deutschland wird über einen zu gering ausgeprägten Bildungsauftrag für den Kindergarten und eine unzureichende Vorbereitungsaufgabe für den Übergang in die Grundschule - obwohl hierzu empirische Untersuchungen fehlen - erklärt.
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p40
Dreh- und Angelpunkt der Verbesserung von Bildungschancen und -gerechtigkeit ist die in den Kindergärten vorhandene Förderqualität.
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p41
Allerdings weisen viele Erfahrungen und auch Untersuchungen darauf hin, dass die Möglichkeiten einer solchen [gewünschten] Kooperation [zwischen Kindergarten und Schule] in der Praxis bei Weitem nicht ausgeschöpft werden
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p42
Zu berücksichtigen ist dabei aber, dass nicht eine (andere) Struktur als solche zu einer besseren Bildungsförderung und Vermeidung von Bildungsungerechtigkeit führt. Vielmehr kommt es immer auf die realisierte Förderqualität in Kindergarten und Grundschule an: Unabhängig von gegebenen oder gewünschten Strukturen ist entscheidend, ob die Förderqualitäten in den beiden Bildungsstufen aufeinander bezogen und anschlussfähig sind.
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p45f
Die Schullaufbahnempfehlung der abgebenden Schule ist ein wichtiges Kriterium für die Wahl der weiterführenden Schulform.
....
Die Elternentscheidung richtet sich mehrheitlich nach der Lehrkraftempfehlung, und zwar zu rund drei Viertel bei der Hauptschulempfehlung, über rund zwei Drittel bei der Realschulempfehlung und bis zu mehr als 90 Prozent bei der Gymnasialempfehlung ...
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p47f
Angenommen, die Schullaufbahnempfehlungen würden ausschließlich auf Basis von gemessener Kompetenz ausgesprochen, so ergäbe sich für Deutschland folgende idealtypische Differenzierung: Die besonders schwachen Kinder mit einem Kennwert im Lesetest bis zu 506 Punkten (29,3 Prozent) erhielten eine Hauptschulempfehlung, besonders leistungsstarke Kinder mit mehr als 569 Punkten (34,9 Prozent) eine Gymnasialempfehlung und Kinder zwischen diesen beiden Kennwerten (35,7 Prozent) eine Realschulempfehlung (vgl. Abb. 5). Für Mathematik lägen die entsprechenden Kennwerte bei bis zu 446 Punkten, mehr als 539 Punkten und zwischen 446 und 539 Punkten. In der Realität ergibt sich jedoch ein ganz anderes Bild.
Wie aus den Abbildungen 6 und 7 hervorgeht, sind sowohl bezüglich der Lesekompetenz als auch der mathematischen Kompetenz eindeutig versetzte Kurven zu finden.
....
So erreichen die Kinder mit einer Hauptschulempfehlung im Mittel 491 Punkte im Lesetest, die auf die Realschule empfohlenen 540 Punkte und die auf das Gymnasium empfohlenen 587 Punkte.
....
... so wird klar, dass Kinder im Bereich von ungefähr 500 bis 600 Punkten auf alle weiterführenden Schulformen empfohlen werden. Zu erwähnen ist, dass 50 Leistungspunkte deutlich mehr Lernzuwachs ausmachen als durchschnittlich in einem Lernjahr erreicht werden. Das Leistungsniveau ist offensichtlich nicht das alleinige Kriterium für die Zuteilung zu einer bestimmten Schulart. Insbesondere trennt die Realschulempfehlung die unterschiedlichen Leistungsgruppen nicht deutlich. Dies gilt sowohl für die Lesekompetenz als auch für die mathematische Kompetenz - und es betrifft fast die Hälfte (44 Prozent) der Schülerschaft.
....
[Die idealtypische Differenzierung zerschneidet die durch eine Gauß'sche Normalverteilung repräsentierte Grundgesamtheit in einen zentralen Bereich um das Maximum (Lesekompetenz 507 bis 569 Punkte) mit Realschulempfehlung, den Bereich mit Werten 506 und kleiner mit Hauptschulempfehlung, ab 570 mit Gymnasialempfehlung. Die Realität wird dargestellt durch drei Normalverteilungen mit Maximum respektive bei 491, 540, 587 Punkten. Dies bedeutet grob geschätzt u.a.: 2/5 der Schüler mit HS-Empfehlung gehören systemkonform eigentlich auf Realschule oder Gymnasium (ca. 1/6), 1/4 derer mit GymnasialEmpfehlung auf die Realschule etc]
....
Vergleichbar ist das Verhältnis von mathematischer Kompetenz und Schullaufbahnempfehlung. Insgesamt wird die Mehrheit der Kinder aus dem unteren und oberen Kompetenzbereich, was die Kompetenzen im Lesen und in Mathematik angeht, in die angemessene Schulform empfohlen, deutlich mehr als ein Drittel dieser Kinder aber nicht. Kinder aus dem mittleren Kompetenzbereich werden aber nur zu weniger als der Hälfte ihren Leistungen entsprechend für die weiterführende Realschule empfohlen. [ cf. unten p137]
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p51
Viele Untersuchungen belegen, dass Noten die tatsächliche Fachleistung oft nicht widerspiegeln und dass Noten nicht vergleichbar sind .... Entsprechend gibt es Klassen, die sich in ihren Leistungen stark unterscheiden, nicht aber in ihrem Notenspektrum.
....
Dieser Befund ist vor dem Hintergrund, dass in den meisten Ländern die Deutsch- und/ oder die Mathematiknote als wesentliches Entscheidungskriterium für die Schullaufbahnempfehlung herangezogen wird, nicht unproblematisch. Die Noten in Deutsch und Mathematik erklären - für sich allein betrachtet - in Deutschland 66 Prozent der Variabilität der Schullaufbahnempfehlung.
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p52
Der Anteil der Kinder aus unteren Schichten an Universitäten ist nach wie vor gering. Wenn darüber hinaus die Chance eines Kindes aus oberen Schichten mehr als zweieinhalbmal so groß ist, eine Gymnasialempfehlung zu erhalten, verglichen mit einem Kind aus unteren Schichten mit den gleichen kognitiven Grundfähigkeiten und Kompetenzen, dann ist hier ein erheblicher Bedarf der nachträglichen Korrektur gegeben, soll wirklich von Chancengleichheit die Rede sein. Die hier aufgeführten Befunde heißen für die weiterführenden Schulen, dass sie nicht davon ausgehen können, eine für ihre Schulform passende, homogene Schülerschaft vorzufinden, und dass sie sich in ihrem Lehr-Lern-Angebot auf die Leistungsheterogenität der Kinder einzurichten haben. Dies geschieht bisher nicht in wünschenswertem Maße. Die "Abschulung" vom Gymnasium zur Realschule bzw. Hauptschule ist immer noch eher die Regel als der Aufstieg von der Realschule in das Gymnasium. Um Schülern mit hoher Leistungsfähigkeit gerecht zu werden, muss aber die Durchlässigkeit des Schulsystems nach oben erhöht werden.
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p53
Ein gutes Beispiel, hier nachträglich korrigierend einzugreifen, findet sich in Baden- Württemberg. Dort gelingt es in den beruflichen Gymnasien, jährlich mehr als zehntausend Jugendliche zur allgemeinen Hochschulreife zu führen (vgl. Statistisches Bundesamt 2004). Damit wird mehr als jedes dritte Abitur in diesem Land nicht an allgemein bildenden Gymnasien vergeben, ohne dass dies zu Lasten der Standards geht ... Dieses dreizehnjährige Modell kann also als eine sinnvolle Ergänzung des zwölfjährigen Wegs in einem Gymnasium zur allgemeinen Hochschulreife angesehen werden.
Eine besondere Bedeutung im Sinne von Chancengleichheit kommt darüber hinaus dem Ausbau von Ganztagsschulen, besonders auch von Ganztagsgymnasien, zu. Nur dort können Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern das anregungsreiche Lernmilieu finden, das ihnen zu Hause nicht geboten werden kann. So gibt es innerhalb des gegliederten Systems durchaus Möglichkeiten der "Nachbesserung" die allerdings - wenn das gegliederte Schulsystem beibehalten werden soll - deutlich ausgebaut werden müssen. Bildungsgerechtigkeit setzt in diesem Kontext aber auch Schulform übergreifende Bildungsstandards voraus, die regelmäßig zu überprüfen wären. Nur so kann sichergestellt werden, dass der Realschulabschluss an der Hauptschule oder im beruflichen Bildungswesen genauso gut ist wie der an der Realschule oder dass das Abitur an beruflichen Gymnasien und Gesamtschulen das gleiche Niveau hat wie an Gymnasien.
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p54
Wichtige strukturelle Entwicklungen des Beschäftigungssystems stellen entscheidende Herausforderungen für die Gestaltung des dualen Berufsbildungssystems sowie des Übergangs von Schule in Berufsausbildung dar:
- Die Verschiebung der Beschäftigung von den manuellen, produktionsorientierten Tätigkeiten hin zu den nicht manuellen Tätigkeiten im Dienstleistungs- und Verwaltungsbereich ...
- Die Abnahme der manuellen Beschäftigung vor allem bei den un- bzw. angelernten Arbeitern (zu beobachten z. B. an der Entwicklung der qualifikationsspezifischen Arbeitslosenrate).
[Zur Zukunft der Arbeitsgesellschaft siehe hier]
[Zum Begriff Arbeit siehe hier]
- Die gewandelten Anforderungs- und Kompetenzprofile im Sinne neuer Kombinationen von Fach- und Schlüsselqualifikationen.
- Eine permanente Lernbereitschaft zur Anpassung beruflicher Qualifikationen an die Beschäftigungsanforderungen.

Des Weiteren wirken demografische Entwicklungen unmittelbar auf die Ausbildungssituation. Der Rückgang der erwerbstätigen Bevölkerung in Deutschland wird zwar zu einem massiven Fachkräftemangel führen, der allerdings auch nicht durch Zuwanderung auszugleichen ist ... Demgegenüber steigen in den letzten Jahren die Schulabgängerzahlen kontinuierlich bis zum Jahr 2014 an, erst dann ist mit einem deutlichen Rückgang zu rechnen ... Damit einher geht eine vorübergehend erhöhte Nachfrage nach Ausbildungsplätzen, der aber kein entsprechendes Angebot gegenübersteht. Insofern wird der sich abzeichnende Fachkräftemangel auch nicht vorübergehend durch die geburtenstarken Jahrgänge gemildert werden können. Das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage zeigt sich in der hohen Zahl an ausbildungslosen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, denn jeder zehnte Jugendliche zwischen 15 und 29 Jahren ist ohne Ausbildung.
....
Auch der massive Ausbau außerbetrieblicher bzw. vollzeitschulischer Ausbildungsgänge erreicht nur kurzfristig Wirkung, da das Berufsspektrum der außerbetrieblichen Ausbildungen zumeist auf die niedrig qualifizierenden klassischen "Benachteiligtenberufe" beschränkt und weniger mit der realen Berufspraxisverknüpft ist. Demzufolge werden Übergangsprobleme eher verschoben.
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p55
Seitens der Wirtschaft wird vor allem die geringe Ausbildungsreife - insbesondere bei den Hauptschulabgängern - als Grund für Auswahlentscheidungen genannt. Darunter wird durchaus Verschiedenes verstanden, am häufigsten aber fehlende Sozialkompetenzen, ein Mangel an Grundkompetenzen, geringe psychische und physische Belastungsfähigkeit etc.
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p57
Der Zugang zu einer dualen Berufsausbildung wird in einem sehr hohen Maße durch die Art des Schulabschlusses und die Schulnoten bestimmt, was durch die regionale Arbeitsmarktlage noch beeinflusst wird.
....
Für Jugendliche mit Migrationshintergrund bzw. ausländische Jugendliche sieht die Situation besonders prekär aus.
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p58
Jugendliche mit Realschulabschluss/mittlerem Bildungsabschluss bzw. Abitur haben signifikant höhere Chancen als Jugendliche mit Hauptschulabschluss bzw. ohne Schulabschluss. Für Letztere ist der Zugang mittlerweile sehr stark eingeschränkt.
....
Die Chance, dass eine individuelle Benachteiligung im Laufe der Bildungsbiografie durch zusätzliche Maßnahmen ausgeglichen werden kann, ist als sehr gering einzuschätzen. Die Selektionsmechanismen des Schulsystems setzen sich im Übergang zur dualen Berufsausbildung fort.
....
Von einer transparenten Förderlandschaft mit abgestimmten Maßnahmen ist das System weit entfernt.
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p60
In Deutschland ist das Hochschulstudium noch immer vergleichsweise stark an soziale Determinanten geknüpft.
....
Barrieren aufgrund sozialer Zugehörigkeit herrschen noch immer, wo nur Kriterien der intellektuellen Eignung Anwendung finden dürften. Schwellen manifestieren sich aber auch noch immer dort, wo ein formales Berechtigungswesen wichtiger ist als das eigentliche Potenzial: Auch wenn nach und nach die Bedeutung des Abiturs vermindert wird, bleibt es doch die entscheidende Zugangsvoraussetzung für den Bereich der tertiären Bildung.
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p61
Hochschulische Angebote können sich nicht nur an die Besten richten, sondern zum Beispiel auch an Personen mit jeweils spezifischen Interessen oder Benachteiligungen.
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p70
Was den Markt- und Wettbewerbsgedanken anbelangt, hat ein zu großes Vertrauen auf den - de facto nicht existierenden - "Weiterbildungsmarkt" als Regelungsmechanismus für Angebot und Nachfrage in der beruflichen Weiterbildung zu einer Tendenz geführt, die berufliche Weiterbildung in der Wissensgesellschaft zu einem bedeutenden Faktor der Verstärkung, zumindest der Fortschreibung bestehender sozialer Ungleichheit und Chancenungerechtigkeiten im Weiterbildungsbereich macht. Das scheinbar freie Spiel der Kräfte von Angebot und Nachfrage auf dem Markt für Qualifikationen führt möglicherweise in der Tendenz zur kurzsichtigen Suche nach raschen Erträgen in Bildungsinvestitionen, die in Phasen der gesamtwirtschaftlichen Stagnation zu ungleichen Zugangschancen in berufliche Weiterbildung führen. Nicht erwerbstätige Personen und solche, die nur am Rande am Erwerbsleben beteiligt sind, verlieren bei den raschen technologischen und organisatorischen Veränderungen der letzten Jahre in der Arbeitswelt leicht den Anschluss, da sie kaum mit den Weiterentwicklungsmöglichkeiten durch Weiterbildungsteilnahme für Vollzeitbeschäftigte Schritt halten können.
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4 Heterogenität und Unterricht

p71
Internationale Vergleichsstudien belegen für Deutschland (z. B. bei den 15-Jährigen) eine auffällig große Leistungsstreuung in allen Kompetenzbereichen (vgl. Prenzel u. a. 2004). Im internationalen Vergleich sehr groß ist auch die Leistungsstreuung zwischen den Schulen.
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p72
Dennoch bleibt eine beachtliche Unterschiedlichkeit in den Kompetenzen der Schüler bestehen, die dieselbe Schulart besuchen.
....
Was passiert nun im Verlauf eines Schuljahres? Der an PISA 2003 angeknüpfte Längsschnitt untersuchte den Lerngewinn in Mathematik und Naturwissenschaften, der von der neunten zur zehnten Klassenstufe zu verzeichnen ist (vgl. Prenzel u. a. 2006). Die Schüler steigern ihre Mathematikleistung im Durchschnitt um 25 Punkte (auf der PISA-Skala). Allerdings sind nur bei 58 Prozent der Schüler signifikante Kompetenzsteigerungen zu beobachten (die für diese Gruppe dann deutlich größer ausfallen als 25 Punkte). Bei 33 Prozent der Jugendlichen ist kein Kompetenzgewinn zu verzeichnen, bei acht Prozent sogar ein Leistungsrückgang. Dieser Befund weist auf eine begrenzte Wirksamkeit des Mathematikunterrichts hin: offensichtlich geht er bei einem beträchtlichen Teil der Schüler ohne messbaren Kompetenzgewinn vorbei - obwohl Klassenarbeiten erfolgreich bestanden werden. Die Befunde für den Naturwissenschaftsunterricht fallen ähnlich aus.
....
Fasst man nun die bei PISA beobachteten Lernzuwächse auf der Klassenebene zusammen, dann zeigt sich, dass im Mittel sehr viele Klassen im Verlauf eines Schuljahres deutlich dazulernen. Für fünf Prozent der Klassen sind aber keine deutlichen durchschnittlichen Zuwächse zu verzeichnen, bei sechs Prozent der Klassen fällt das Durchschnittsniveau nach einem Jahr unter den Ausgangswert zurück.
Insgesamt belegen diese Befunde also eine erhebliche Heterogenität in den Leistungszuwächsen über ein Schuljahr. Eine beträchtliche Anzahl von Schülern lernt über diese Zeit nichts dazu. Sie werden offensichtlich nicht vom Unterricht angesprochen und gefördert.
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p73
In Gymnasien wie Realschulen nimmt das Interesse im Verlauf des Schuljahres gleichermaßen ab (Datenpunkte unterhalb der Diagonalen). Allerdings lässt sich auch eine Reihe von Schulklassen feststellen, in denen die Schüler ihr Interesse positiv weiterentwickeln.
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p74
Die Ergebnisse aller Videostudien in Deutschland zeigen ein gleichförmiges Bild. In den bisher untersuchten Domänen läuft der Unterricht sehr ähnlich ab: Er wird bestimmt durch einen übergeordneten, fragend-entwickelnden Zugang, in dem relativ komplexe Inhalte in kleine Portionen zerlegt und Schritt für Schritt im Klassenverband erarbeitet werden. Individuelle Lernwege sind in dieser übergeordneten Basisstruktur nicht vorgesehen. Es besteht vielmehr die Vorstellung der Entwicklung einer gemeinsamen Denk- und Kompetenzstruktur, die von allen Schülern mit gleichem Ausgangspunkt, gleichem Tempo und gleichem Endpunkt entwickelt wird. Abweichungen von dieser Basisstruktur werden selten vorgenommen und Variationen bestehen allenfalls in den fachdidaktischen Zugängen bei unterschiedlichen Themenstellungen (beispielsweise in der Auswahl von Experimenten im Naturwissenschaftsunterricht). Das fragend-entwickelnde Unterrichtsgespräch als "Unterricht von der Stange" tendiert dazu, die besonders leistungsschwachen und die leistungsstarken Schüler zu vernachlässigen: Die Kompetenzschwachen bremsen den Fortgang des Unterrichtsgesprächs, die Kompetenzstarken nehmen das Ergebnis des Gesprächs vorweg.
Der Unterricht in Deutschland ist damit noch weit entfernt von Unterrichtskonzepten, die sich im Bereich der Lehr-Lern-Forschung international als wirksam erwiesen haben.
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p77
[Das Folgende bezieht sich auf eine Studie zum Unterricht im Fache Physik in 50 Klassen und betrifft gleichermaßen "homogen" starke oder schwache aber auch heterogene Klassen] Wie die Videoanalysen zunächst über alle Klassen hinweg erkennen lassen, werden Aspekte einer individuellen Lernbegleitung insgesamt nur sehr selten beobachtet: Lehrpersonen dominierten mit 80 Prozent Gesprächsanteilen die Kommunikation in den Klassen; bei den Fragen bzw. "Impulsen" an die Lernenden handelte es sich vorwiegend um Reproduktions- oder Kurzantwortfragen (in 80 Prozent der Fälle) und damit um eine reine Wiedergabe von bereits erlerntem Wissen. In nur fünf Prozent der Fälle verlangten die Fragen der Lehrenden eine Verknüpfung verschiedener Inhalte ("deep reasoning" Fragen). Rückmeldungen an die Lernenden im Klassengespräch bestanden größtenteils aus kurzen "ja nein" Äußerungen der Lehrpersonen (in 88 Prozent der Rückmeldungen). Sachlich-konstruktive oder positivunterstützende Rückmeldungen kamen in nur zwölf Prozent der Rückmeldesituationen vor. Die Funktion der Schüleräußerungen in den Interaktionen mit den Lehrpersonen beschränkte sich überwiegend darauf, Stichworte für den weiteren Gesprächsverlauf zu liefern (in 90 Prozent der Fälle). Naturwissenschaftliche Inhalte wurden so gut wie nie laut denkend modelliert, Experimente waren rezeptartig, und die Begleitung des Lernens während der Experimente bestand vorwiegend darin, die Schüler direkt anzuleiten.
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p79
Wenn Unterricht in Deutschland nicht darauf ausgerichtet ist, Schüler individuell zu fördern, bleiben die individuellen Unterschiede bestehen beziehungsweise vergrößern sich: Schüler mit starken Lernvoraussetzungen lernen immer weiter hinzu, differenzieren und erweitern ihre Kompetenzen. Sie setzen ihre vorhandenen Kompetenzen als Werkzeuge ein, um das im Unterricht bereitgestellte Potenzial optimal zu nutzen. Lernende mit schwächeren Lernvoraussetzungen dagegen fehlen diese individuellen Werkzeuge und sie scheinen sie im Verlauf der Schulzeit immer weiter zu verlieren.
Die für Deutschland auffällig hohen Streuungen zwischen 15-Jährigen, in ihren Kompetenzen sind das Resultat eines Unterrichts, der insgesamt wenig fördert und vor allem nicht sicherstellt, dass alle Schüler gleichermaßen dazulernen.
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p80
Die größte Herausforderung für Lehrende dürfte darin liegen, zu akzeptieren, dass individuelle Lernwege unterschiedlich sind und dass nicht alle Schüler mit gleichem Startpunkt, gleichem Tempo, gleichen Lernkurven und - so hart es zu akzeptieren ist - mit gleichem Ergebnis lernen. Die gegenwärtig vorherrschende Unterrichtsphilosophie ist vielmehr, dass jedes neue Unterrichtsthema, jeder neue Inhalt bei jedem einzelnen Lernenden einem "leeren Blatt" gleicht, das es durch den Unterricht zu beschreiben gilt. Ziel ist es, dass am Ende alle Schüler einen gleichen "Eintrag" haben. Das fragend-entwickelnde Klassengespräch scheint für diese Art von Unterrichtsphilosophie ein geradezu prädestiniertes Mittel zu sein. Dadurch, dass Inhalte "gemeinsam" erarbeitet werden, erhalten Lehrpersonen den subjektiven Eindruck, dass das Ziel eines gleichen gemeinsamen Endpunkts erreicht ist. Diese Art von Unterricht lässt nicht nur wenige Freiräume für die einzelnen Schüler, sie gibt Lehrenden gleichzeitig auch wenig Möglichkeiten einer realistischen Überprüfung des Unterrichtserfolgs.
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p81
Da die Schüler bei Klassenwiederholungen das gleiche Treatment noch einmal vorfinden, sind die Chancen für den weiteren Anschluss an die Kompetenzentwicklung eher gering.
....
Die verbreitete Gleichförmigkeit des Unterrichts in Deutschland bedeutet letztlich das größte Hindernis für produktive Veränderungen: Mehr oder weniger in allen Köpfen (Lehrkräfte, Eltern, Administration, Politik und auch bei den Schülern) existiert eine selbstverständliche Grundvorstellung von Unterricht, die sich völlig unzureichend für eine generelle, besonders aber die individuelle Förderung eignet.
[alternativer Ansatz: SINUS mit 1800 teilnehmenden Schulen - erfolgreich]
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5 Heterogenität und Ganztagsangebote

p83
Die Kompensation differenter Ausgangsbedingungen bei den Lernenden durch Schule erfordert erheblich mehr Lernzeit in schulischen Einrichtungen als dieses gegenwärtig in Deutschland - und im Vergleich zu fast allen Ländern des Auslands - der Fall ist. Die Ganztagsschule stellt sich dadurch als eine Organisationsform schulischen Lernens dar, die einen wichtigen Beitrag zum Umgang mit Heterogenität leisten kann.
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p84
Drei Viertel aller Eltern wollen regelmäßige und verlässliche pädagogische Angebote für Schulkinder über die stundenplanmäßige Schulzeit hinaus.
Nach der Repräsentativumfrage 2004 des Instituts für Schulentwicklungsforschung (IFS) haben für Eltern Gemeinschaftserfahrungen und soziales Lernen sowie Unterstützungsaspekte zur Leistungsförderung mit Abstand höchste Relevanz in der Gestaltung von Ganztagsschulen (vgl. Holtappels u. a. 2004). Die Bedeutung der Ganztagsschule für die soziale und kognitive Lernentwicklung der Schüler wird demnach von Eltern offenbar erkannt.
....
Die bisher belegten pädagogischen Wirkungen des Ganztagsbetriebs liegen weniger in der Steigerung von kognitiven Kompetenzen, Schulleistungen und Schulerfolg, sondern eher in der Verbesserung des Sozialverhaltens, der Sozialbeziehungen und der Lernbereitschaft und in intensiverer Lern- und Begabungsförderung ....
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p85
Insbesondere offene Ganztagsschulformen entwickeln keinen Druck auf die Veränderung des Vormittags und begünstigen somit nicht die Qualitätsverbesserung des Unterrichts.
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p86
In den meisten Bundesländern wird in der Schulpraxis jedoch der Ganztagsbetrieb in freiwilliger Angebotsform gefördert und umgesetzt, die im rein additiven Sinne vom Unterricht abgekoppelt bleibt, in hohem Maße allein von Nichtlehrpersonal durchgeführt wird, zum Teil sogar in anderen Einrichtungen und von anderen Trägern. Dies hat insbesondere im Rahmen des Investitionsprogramms "Zukunft Bildung und Betreuung" (IZBB) zugenommen. Seit Beginn der 1990er Jahre sinken die Anteile von voll- und teilgebundenen Ganztagsschulformen unter den Neugründungen stark ab, so dass sich offene Formen nunmehr deutlich in der Mehrheit befinden.
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6 Heterogenität und Bildungsstandards

p89f
Von der "technischen" Seite betrachtet, ist die Einführung von Bildungsstandards eine Erfolgsgeschichte.
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Formal sind sie eingerichtet, aber sie sind noch keineswegs so implementiert, dass sie die Qualität der pädagogischen Arbeit in der Breite nennenswert beeinflussen. Selbst wenn in Zukunft die flächendeckenden standardbezogenen Erhebungen durchgeführt werden, dürften die Effekte auf eine Reduzierung von Heterogenität und Disparitäten - und damit eine Stärkung der Bildungsgerechtigkeit - nur sehr indirekt und verzögert erfolgen.
Das eigentliche Implementierungsproblem betrifft die Umsetzung im pädagogischen Alltag an den Schulen. In erster Linie geht es darum, dass die Lehrkräfte in Deutschland zukünftig kompetenz- und ergebnisorientiert denken und unterrichten. Bildungsstandards müssten ihren Blick auf unterschiedliche Lernvoraussetzungen schärfen. Die Diagnose von Schwächen müsste mit einem Interventionswissen über aussichtsreiche Förderungsmaßnahmen verbunden sein. Es müsste auch die Fähigkeit der Lehrkräfte gestärkt werden, den Unterricht auf das Wesentliche zu konzentrieren und mit Lehrplänen souverän umzugehen. Entscheidend für die Wirkung von Bildungsstandards ist die damit zu verbindende Professionalisierung der Lehrkräfte, die auf der Schulebene insbesondere ein gemeinsames Arbeiten an gemeinsamen Problemen bedeutet. All diese Punkte sind bisher nur ansatzweise in den bildungspolitischen Strategien berücksichtigt.
....
Zu bedenken ist weiterhin, dass der bisherige Prozess der Standard- und Aufgabenentwicklung aus Gründen der Akzeptanzsicherung (aber wohl auch aus Kostengründen) auf der Arbeit von Lehrkräften beruht. Unbestreitbar hat dies einen positiven Effekt auf die Qualifikation der einbezogenen Lehrkräfte. Sie werden zukünftig neue Funktionen in der landesbezogenen Testentwicklung, in der Fortbildung oder bei der Interpretation der Ergebnisse übernehmen können. Andererseits hat diese Rekrutierung aus der Lehrerschaft auch ungünstige Nebenwirkungen: Die Kompetenzmodelle und Aufgaben, die entwickelt werden, sind unverkennbar ein Abbild der stattfindenden Praxis in Deutschland. Sie sind vielleicht sogar ein Abbild "guter" Praxis in Deutschland, aber sie sind in Gefahr, hinter den Möglichkeiten zurückzubleiben (wohl auch hinter erfolgreicher internationaler Praxis).
....
Die Expertise von Klieme u. a. (2003) bezieht hierzu eine klare Position: Sie versteht Bildungsstandards als Ziel- und Rückmeldeinstrument. Eine "Breitbandanwendung", z. B. zu den zusätzlichen Zwecken einer Leistungsbeurteilung oder Individualdiagnostik, wird sehr kritisch beurteilt.
....
Eine Verknüpfung standardbezogener Tests mit Noten oder Abschlüssen bedeutet, dass die Testergebnisse an Aussagekraft über die Unterrichtsqualität verlieren.
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p91
Diese Argumentation spricht jedoch keineswegs gegen landesweite Prüfungen, die explizit zur Zertifizierung unter einheitlichen Gütemaßstäben dienen
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7 Neue Steuerungsmodelle

p93
Neue Steuerungsmodelle im Schul- und Hochschulbereich zielen darauf ab, das System von seinem Output her zu steuern. Dabei ist der Entwicklungsstand sehr unterschiedlich.
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Neue Steuerungsmodelle im Schulbereich bedeuten, dass Schulen die Ziele vorgegeben werden und deren Erreichung konkret überprüft wird. Gleichzeitig erhalten die Schulen ein hohes Maß an Autonomie in Personal- und Prozessfragen.
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Sowohl die externe Leistungsüberprüfung als auch das mit öffentlicher Finanzierung gepaarte nicht öffentliche Management kommen Schülern aus benachteiligten Hintergründen besonders zugute [aber auch allen anderen].
....
Die öffentliche Finanzierung der Schulen sollte beibehalten werden, gleichzeitig könnte aber eine verstärkte Übertragung des Schulmanagements in nicht staatliche Trägerschaft zu besseren Leistungen gerade bei benachteiligten Schülern beitragen
[ Anmerkung: cf. Charter-Schools in USA and Trust-Schools in UK.
[ Der BundesVerband Deutscher Privatschulen e.V. schreibt in seinem organ `Freie Bildung und Erziehung' ausgabe Juni 2007 seite 4 unter der überschrift `Plädoyer für Schulreformen: `Der Aktionsrat Bildung hat in seinem Jahresbericht 2007 eine radikale Bildungsreform und eine Privatisierung der Schulträger gefordert und auf die besseren Bedingungen in anderen europäischen Ländern hingewiesen.' ].
....
Untersuchungen der internationalen Schülerleistungstests wie TIMSS und PISA kommen zu folgenden empirischen Befunden (vgl. Wößmann 2005a, 2005b; Bishop 2006):
- Schülerleistungen sind besser in Ländern, in denen es Systeme externer Abschlussprüfungen gibt.
- Schülerleistungen sind tendenziell besser in Schulen mit Autonomie in Personal- und Prozessentscheidungen. Sie sind tendenziell schlechter in Schulen mit Autonomie in Entscheidungen über Budget- und Lehrumfang.
- Die Effekte von Schulautonomie sind tendenziell stärker positiv, wenn gleichzeitig externe Prüfungssysteme vorliegen. In mehreren Entscheidungsbereichen drehen externe Prüfungen sogar ansonsten negative Effekte von Schulautonomie komplett in positive Effekte um. Dazu gehören Entscheidungsbereiche wie Lehrinhalte, Ressourcenausstattung der Schule und Lehrergehälter (siehe Abb. 13).
- Schülerleistungen sind besser in Ländern, in denen Eltern größere Wahlfreiheit zwischen Schulen in nicht staatlicher Trägerschaft haben.
- Gleichzeitig sind Schülerleistungen besser in Ländern, in denen die Schulen einen größeren Anteil öffentlicher anstatt privater Finanzierung aufweisen.
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p96
Untersuchungen aus den USA belegen, dass autonome Schulen und Gutscheinsysteme vor allem den sozial Benachteiligten zugutekommen, wobei beide Steuerungsmodule auch zumeist so angelegt sind, dass sie auf die sozial Benachteiligten abzielen ...
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p99
Fasst man diese Entwicklung zusammen, so kann man feststellen, dass sich das deutsche Hochschulsystem innerhalb von zehn Jahren in den Strukturen ebenso wie in den Leitbildern reformiert hat. Damit ist die Hochschulreform einer Reform des Schulwesens voraus.
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8 Personalentwicklung für Schulen und Hochschulen

p102
Wenn alle Schüler und Studierenden bestimmte Leistungsniveaus erreichen sollen, sind die Ziele nicht statisch, sondern auf Steigerung der Qualität hin angelegt.
.... Heterogenität ...
Auf derartige Anforderungen sind deutsche Lehrkräfte in allen Schulen schlecht vorbereitet. Weder die Struktur ihrer Ausbildung noch die Bedingungen ihrer Anstellung tragen bislang dazu bei, sich auf stetigen Wandel und Qualitätssicherung einzulassen.
....
Nach Anstellung bestehen fast keine Risiken mehr, das größte Risiko für die Absolventen liegt in der staatlichen Stellenpolitik.
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p103
Das deutsche Fachstudium hat kaum einen Bezug zu den Unterrichtsfächern der Schule, die immer noch so verstanden werden, als seien sie Ableitungen aus den Fachwissenschaften. Die Geschichte der Schulfächer zeigt den gegenteiligen Befund (vgl. Goodson/Hopmann/Riquarts 1999). Auf der anderen Seite ist das erziehungswissenschaftliche Know-how der Lehrkräfte trotz Studium wenig entwickelt.
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p105
Die Erzieherausbildung müsste in eine Ausbildung für Lehrkräfte an Vor- und Grundschulen umgewandelt werden und könnte als Spezialisierung des Lehramts für Grundschulen geführt werden oder an Fachhochschulen in den Bachelorabschluss münden. Auf der Sekundarstufe I gäbe es nur noch ein Lehramt, Gymnasiallehrer würden eine Zusatzqualifikation erwerben, insbesondere für die Sekundarstufe II. Die übrigen Lehrämter würden sich je nach Zuschnitt des Systems und somit der Aufgabenprofile curricular verändern.
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p106
Die Anreicherung des professionellen Repertoires geschieht heute mehr oder weniger zufällig, umfassende Strategien zur Implementierung sind in aller Regel nicht vorhanden.
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p109
Die Lehrkräfte müssen lernen, den Stand ihrer Klasse mit Vergleichsdaten einzuschätzen und bei der Beurteilung allgemein gültige Kriterien anzuwenden.
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p110
Praktisch keine Vorarbeiten sind bislang geleistet worden im Hinblick auf die Verbindung zwischen schulischen Bildungsstandards und den Standards zur Lehrerbildung. Hier laufen zwei parallele Entwicklungen, die wenig miteinander zu tun haben. Ein Grund dafür ist der Fachbezug der deutschen Lehrerbildung. Sie erfolgt, anders als zum Beispiel in Schweden, nicht direkt bezogen auf das Berufsfeld, sondern gilt einzelnen Fächern, die von sich aus kaum etwas mit dem Berufsfeld zu tun haben. Das ist international die Ausnahme und hat vor allem mit dem fachlichen Bildungsideal der Gymnasiallehrerausbildung zu tun, das in den vergangenen 30 Jahren auf die gesamte Lehrerbildung ausgedehnt worden ist. Im Vergleich von acht Ländern zeigt sich, dass Deutschland als einziges Land einen hohen Fachbezug der Primar- und der Sekundarlehrerausbildung und zugleich einen niedrigen Bezug zur Nachfrageseite aufweist (vgl. Blömeke 2006).
....
Aber die professionelle Kompetenz, etwa von Mathematiklehrern, besteht in der Beherrschung und Vermittlung von Schulmathematik, die nur begrenzt von dem Mathematikstudium beeinflusst wird. Zudem gehört zur Kompetenz, dass die Schüler in der gegebenen Situation angeregt und gefördert werden (vgl. Baumert 2006). Situiertes Lernen aber gehört in der deutschen Lehrerbildung zu den Randgrößen, obwohl gute Erfahrungen besonders im Hinblick auf die Beeinflussung der Diagnose- und Förderkompetenz angehender Lehrkräfte vorliegen (vgl. Fölling-Albers/Hartinger/Mörtl-Hafizovic 2004).
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9 Kosten der Bildungsgerechtigkeit

p114f
Wie aus Abbildung 14 ersichtlich ist, variiert die Arbeitslosigkeit stark mit dem Bildungsniveau. Während mehr als jeder vierte Deutsche ohne mittlere Reife arbeitslos ist, ist unter den Universitätsabsolventen weniger als jeder zwanzigste arbeitslos. Arbeitslosigkeit ist also vor allem ein Problem der Geringqualifizierten.
....
In Deutschland liegt das durchschnittliche Einkommen von Erwerbspersonen mit abgeschlossenem Hochschulstudium 53 Prozent über dem von Erwerbspersonen mit höherer Sekundarbildung (Abitur oder Berufsschulabschluss), das von Erwerbspersonen ohne abgeschlossene höhere Sekundarbildung 13 Prozent darunter. Die arbeitsmarktökonomische Forschung hat mittlerweile eindrucksvoll belegt, dass diese Einkommensunterschiede weitgehend als kausaler Effekt der Bildung angesehen werden können (vgl. Card 1999).
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p116
Im internationalen Vergleich liegt für Deutschland die Korrelation zwischen Einkommensungleichheit und Ungleichheit in den Bildungsleistungen, die definitionsgemäß von -1 bis +1 reichen kann, bei sehr hohen 0,85 (vgl. Abb. 16). Im Gegensatz dazu weisen etwa Mindestlöhne und der gewerkschaftliche Organisationsgrad der Arbeiter kaum einen Zusammenhang mit den internationalen Unterschieden in der Einkommensungleichheit auf.
Eine Gesellschaft, die auf einen Ausgleich der Einkommen bedacht ist, täte also gut daran, allen Bürgern eine gute Bildung zu ermöglichen [cf.
International Adult Literacy Survey - Literacy scores, human capital and growth across 14 OECD countries] Wenn es gelingt, im Schulsystem ein möglichst hohes Maß an Chancengleichheit herzustellen, bedarf es nicht eines exzessiven Sozialstaates, der versucht, Gleichheit im Nachhinein herzustellen.
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p117
Zahlreiche Studien deuten darauf hin, dass der Zusammenhang von Ausgaben und erzielten Leistungen im Bildungsbereich bestenfalls sehr gering ist (vgl. Wößmann 2005c).
....
Das deutsche Bildungssystem leidet also größtenteils weniger an Unterfinanzierung als unter ineffizienten Strukturen. In nahezu allen Bereichen des deutschen Bildungssystems erscheint es möglich, nötige Zuwächse verstärkt durch Effizienzgewinne zu erzielen.
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p118
Im internationalen Vergleich lässt sich zum Status quo der Bildungsfinanzierung in Deutschland also Folgendes festhalten: Die öffentlichen Ausgaben sind in den frühen Bildungsbereichen relativ gering und in den späten Bildungsbereichen relativ hoch. Dies steht einem umgekehrten Muster bei den privaten Bildungsausgaben gegenüber.
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p121
Gleichzeitig stellt Heckman fest, dass die empirische Literatur zeigt, dass die Ertragsraten [sprich: Gewinn an Bildung aus entstehenden Kosten] im frühkindlichen Bereich für Schüler aus sozial benachteiligten Schichten besonders hoch sind, wohingegen es im Erwachsenenbereich genau umgekehrt ist und die Ertragsraten für Individuen mit sozial benachteiligtem Hintergrund besonders niedrig sind.
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p122
... gerade für Kinder aus problembelasteten familiären Verhältnissen (vgl. Blau/Currie 2006). Der langfristige Nutzen solcher Interventionen übersteigt ihre Kosten oftmals um ein Vielfaches.
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p123
Stilisiert ließe sich sagen, dass der Nutzen von Interventionen zur Herstellung von Bildungsgerechtigkeit ihre Kosten im frühkindlichen Bildungsbereich sogar übersteigt, wohingegen die Interventionskosten (relativ zu ihrem Nutzen) zur Herstellung von Bildungsgerechtigkeit im Erwachsenenalter exorbitant und vermutlich bald ins Prohibitive ansteigen (vgl. Abb. 19). In diesem Bewertungsrahmen erscheint die derzeitige Situation der öffentlichen Bildungsfinanzierung in Deutschland, wie sie in Abbildung 17 aufgezeigt wurde, als wenig zielführend. Dies gilt sowohl im Hinblick auf mehr Bildungsgerechtigkeit als auch auf Effizienz.
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10 Erfolge und nicht intendierte Effekte höherer Bildungsbeteiligung von Frauen

p125
Durch die Bildungsexpansion - die Ausdehnung des Bildungswesens, insbesondere durch den Ausbau der Realschulen, der Gymnasien sowie der Fachschulen, Fachhochschulen und Universitäten - haben sich in den letzten Jahrzehnten in allen Industrieländern die Unterschiede zwischen den Konfessionen, die Stadt-Land-Differenzen und die Unterschiede zwischen jungen Männern und Frauen in der Bildungsbeteiligung deutlich verringert.
Demgegenüber konnte der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Bildungschancen in den meisten Industrieländern, insbesondere in Deutschland, kaum reduziert werden.
....
Geschlechtsspezifische Bildungsunterschiede sind demgegenüber im Zuge der Bildungsexpansion massiv abgebaut worden.
....
Zwei Gründe wurden in verschiedenen Studien für die Abnahme von geschlechtsspezifischen Bildungsunterschieden verantwortlich gemacht: Mädchen werden heute weit weniger als früher in "Sackgassen-Bildungsgänge" gedrängt und die familiäre Bildungsdiskriminierung gegenüber den Mädchen hat vor allem in der Mittelschicht drastisch abgenommen oder ist dort sogar völlig verschwunden.
Die deutliche Abnahme regionaler, konfessioneller und insbesondere geschlechtsspezifischer Effekte auf die Bildungschancen in den letzten Jahrzehnten zeigt, dass Veränderungen in den Bildungschancen durchaus möglich sind. Somit könnte die Erhöhung der Bildungsbeteiligung der Frauen in den letzten Jahrzehnten als Erfolgsgeschichte bezeichnet werden.
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p129
In Deutschland ist der Erwerb von Ausbildung zeitlich weitgehend unvereinbar mit den Aktivitäten, die zur Elternrolle gehören. Hier könnte die Politik einen wichtigen Beitrag zur Vereinbarkeit von Ausbildung und Familie leisten.
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p130
Somit steigen das Heiratsalter und das Alter bei der Geburt des ersten Kindes im Lebenslauf kontinuierlich mit der sozialen Schicht an. Das unterschiedliche Timing der Familienbildung wird dabei vor allem von der schichtspezifischen Dauer der Bildungsbeteiligung im Lebenslauf bestimmt.
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Längsschnittanalysen in verschiedenen Ländern zeigen, dass es in modernen Gesellschaften tatsächlich noch immer einen ökonomisch begründeten Konflikt zwischen den Bildungs- und Karriereressourcen der Frauen auf der einen Seite und ihrer gesellschaftlichen Rollenzuweisung als Mutter auf der anderen Seite gibt (vgl. Blossfeld/Huinink 1991).
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p131
Neue international vergleichende Partnerwahlstudien (Blossfeld/Timm 2003) zeigen, dass junge Leute immer häufiger ihre (Ehe-)Partner bereits in der Schule, an der Universität oder an Orten, die durch die Ausbildungsbeteiligung direkt oder indirekt (Studentenlokale, Schülerdiskos etc.) mitbestimmt wird, treffen. Die Schule und die Universität entwickeln sich damit in modernen Gesellschaften zunehmend zu einem Heiratsmarkt.
....
Da Bildung in nachindustriellen Gesellschaften ein zentraler Faktor für den Berufserfolg (den sozialen Status, das Einkommen, die Klassenlage und die Mobilitätschancen) ist, bedeutet steigende Bildungshomogamie über die Generationen, dass es im Prozess der Paarbildung zu einer wachsenden Kumulation sozialer Ungleichheiten, zur Schließung sozialer Kreise und indirekt zu einer Vergrößerung der sozialen und ökonomischen Unterschiede kommt, unter denen dann die jeweils nächste Generation der Kinder aufwächst.
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p132
In allen untersuchten Ländern, seien sie kapitalistisch oder (ehemals) sozialistisch, konservativ, liberal oder sozialdemokratisch, sind die Frauen die Hauptverantwortlichen für Hausarbeit und Kinderbetreuung geblieben. Zu den traditionellen Aufgaben der Frauen ist allerdings die marktvermittelte Erwerbstätigkeit hinzugekommen und hat zu einer Doppelbelastung geführt. Die Erwerbstätigkeit und der berufliche Status der Frauen zeigten jedoch in keinem der untersuchten Länder einen signifikanten Einfluss auf das Erwerbsverhalten der (Ehe-)Männer.
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p133
...sich in den letzten 20 Jahren durch die zunehmende Verbreitung von Doppelverdiener-Familien in den Alleinverdiener-Gesellschaften die soziale Ungleichheit deutlich verstärkt hat. Der Grund dafür ist in der hohen Neigung zu homogamer Heirat zu sehen.
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11 Zusammenfassung - die Befunde im Überblick

p135f
Die vorherrschende bildungspolitische Meinung in Deutschland ist falsch, wonach eine hohe durchschnittliche Leistungsfähigkeit mit hoher Unterschiedlichkeit (Heterogenität) einhergeht Diese falsche Auffassung und die daraus gezogenen Schlüsse haben dazu geführt, dass in Deutschland keine ausgeprägte Eliteförderung stattfindet. Kognitive Potenziale sind aber erwiesenermaßen in erheblichem Umfang vorhanden. Sie werden jedoch nur zum Teil in fachbezogene Kompetenz umgesetzt.
Erfolgreich ist ein Bildungssystem aber nur dann, wenn ein hohes Kompetenzniveau bei geringer Heterogenität gute Qualifikationsvoraussetzungen für die Wirtschaft und den gesellschaftlichen Diskurs mit sich bringt. Es stellt eine Benachteiligung dar, wenn Menschen trotz gleicher kognitiver Ausgangsvoraussetzungen nicht die gleichen Chancen besitzen, ein entsprechend hohes Kompetenzniveau zu erreichen.
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p136
Die hohe Selektivität des deutschen Bildungssystems wird in besonderer Weise an den Übergängen innerhalb des Bildungssystems wirksam.
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p137
Beim Übergang von vorschulischen Einrichtungen zur Grundschule wirken sich Zurückstellungen benachteiligend aus. Dieses gilt wiederum für männliche Kinder, für jüngere Kinder, für Kinder, denen im Kindergarten eine bildungsorientierte Förderung fehlte, für Kinder mit einem mangelnden häuslichen Anspruchsniveau, für Migrantenkinder, für Kinder aus prekärer sozialer Herkunft und für Kinder, deren Mütter berufstätig sind.
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Der Realschule werden, gemessen am Leistungsstand, ca. 50 Prozent zu wenig Kinder zugewiesen.
zurück zur Grundschulempfehlung p47f
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p140
Heterogene Leistungsvoraussetzungen als eigentliche Ursache für Bildungsungerechtigkeit können durch einen geeigneten Unterricht zumindest teilweise ausgeglichen werden. Geeignet ist ein solcher Unterricht dann, wenn er entsprechend den Leistungsvoraussetzungen differenziert.
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Als Hauptursachen für das Versagen des Unterrichts in Deutschland gelten:
- Eine falsche Vorstellung bei Lehrern von einer gemeinsamen Denkstruktur der Klassenmitglieder. Diese führt zu einem "Unterricht von der Stange", der sich insbesondere im fragendentwickelnden Unterrichtsgespräch äußert.
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p143
40 bis 50 Prozent der hoch qualifizierten Frauen bleiben kinderlos.
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12 Handlungsempfehlungen an die Politik

p145
Die Handlungsempfehlungen folgen wie die Zusammenfassung der Gliederung des Gutachtens und damit der inneren Problemlogik von Bildungsgerechtigkeit.

12.1 Bildungsgerechtigkeit

- Die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit muss zusammen mit der Erhöhung des Leistungsniveaus auf der bildungspolitischen Agenda eine hohe Priorität einnehmen.

- Bildungspolitik muss dem Eindruck entgegentreten, durch Bildungsgerechtigkeit werde soziale Gleichheit hergestellt.

- Das Ziel der Herstellung von Bildungsgerechtigkeit ist es, den Gesellschaftsmitgliedern unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, ihrem Geschlecht, einem Migrationsstatus oder anderen Merkmalen gleiche Chancen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.

- Bildungspolitik muss kommunizieren, dass die Kosten und Freiheitsverluste, die mit der Erweiterung von Bildungsgerechtigkeit verbunden sind, mittelfristig einen Gewinn für die gesamte Gesellschaft darstellen.

- Bildungspolitik muss nicht nur von der gesamten Gesellschaft, sondern auch von den Empfängern Gerechtigkeit stiftender Maßnahmen einen erheblichen Beitrag einfordern: Anstrengungs- und Lernbereitschaft sowie Zielorientierung.

- Um evidenzbasierte politische Entscheidungen zu ermöglichen, muss empirische Bildungsforschung in etlichen Feldern (insbesondere zu Vor- bzw. Ganztagsschulen) handlungsorientiert initiiert und nachhaltig finanziell abgesichert werden.
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12.2 Heterogenität

p146
- Zur Milderung der Heterogenität müssen Qualitätsunterschiede der Bildungseinrichtungen mit dem Ziel einer Qualitätssteigerung beseitigt werden.

- Es muss sichergestellt werden, dass innerhalb des Bildungssystems für gleiche Leistungen die gleichen Abschlüsse vergeben werden.
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12.3 Übergänge im Bildungssystem

- Da eine frühe Aufnahme in Bildungseinrichtungen der Schlüssel für die Beseitigung von Heterogenität als Ursache von Bildungsungerechtigkeit ist, wird die Einführung einer Kindergartenpflicht ab dem vollendeten vierten Lebensjahr gefordert.
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p147
Der Sekundarbereich I wird zweigliedrig (Sekundarschule und Gymnasium) angeboten.
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p149
- Auch für Nichtinhaber einer formalen Hochschulzugangsberechtigung muss der Hochschulzugang aufgrund standardisierter, zielgenauer Zulassungsprüfungen ermöglicht werden. Dabei ist weniger auf formale Rechtstitel (abgeschlossene Berufsausbildung o. Ä.) als vielmehr auf die Studierfähigkeit Wert zu legen. Auf diese Weise ist eine späte Durchlässigkeit auch in vertikaler Hinsicht für Leistungsfähige, aber Bildungsferne möglich.
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12.4 Heterogenität und Unterricht
p151
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12.5 Heterogenität und Ganztagsangebote

- Ein prioritäres Ziel der Bildungspolitik muss der Ausbau mit der Endform einer flächendeckenden Einführung der Ganztagsschule mit qualitativ hochwertigem Unterricht und qualitativ hochwertigen außerunterrichtlichen Angeboten sein. Sie darf nicht als Angebotsschule beschränkt bleiben, weil dadurch die soziale Selektivität erhöht würde.

- Die Ganztagsschule ist nach dem gebundenen Modell intern zu organisieren durch eine lern- und schülergerechte Zeitrhythmisierung mit Zeitblöcken aus Lern- und anderen Aktivitäten.
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p152
12.6 Heterogenität und Bildungsstandards

- Die Formulierung von Standards darf nicht auf die Autorenschaft von Lehrpersonal begrenzt werden. Um zukunftsrelevante Kompetenzen zu definieren, ist die Formulierung von realistischen Standards erforderlich.
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12.7 Neue Steuerungsmodelle
p152f
- Es gehört zu den bildungspolitischen Prioritäten der unmittelbaren Zukunft, Schulautonomie in Personal- und Prozessfragen, gepaart mit Leistungsüberprüfungen im Rahmen externer Evaluation, einzuführen. Die Überprüfungen der Schülerleistungen sollten mindestens jeweils am Ende der Grundschulzeit, am Ende der Sekundarstufe I und am Ende der Sekundarstufe II stattfinden. Die Leistungsüberprüfungen richten sich an den Standards aus.

- Zur Schulautonomie gehört auch die Verantwortlichkeit für eine leistungs- und belastungsbezogene Besoldung.

- Fixierung von Standards und Lehrplänen sowie der Budgetrahmen für eine Bildungseinrichtung gehören nicht in die Autonomie der Schulen.

- Schulleitungen erfahren eine professionelle Ausbildung über die Lehrerausbildung hinaus.
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12.8 Personalentwicklung für Schulen und Hochschulen
....

12.9 Kosten der Bildungsgerechtigkeit
p155
- Das gesamte Bildungssystem erfährt eine signifikant höhere, mindestens dem OECD-Durchschnitt entsprechende Finanzierung bei gleichzeitig Effizienz steigernden Strukturreformen und Ausgabekritik. Dabei sind öffentliche Ausgaben stärker als aktuell in den frühen Bildungsbereich zu verteilen sowie in die Förderung sozial Schwacher zu investieren.

- Eine Mittelerhöhung in den Teilbereichen des Bildungssystems wird jeweils abhängig gemacht von Effektivierungsmaßnahmen vor Ort.
....
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12.10 Erfolge und nicht intendierte Effekte höherer Bildungsbeteiligung von Frauen
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p156
12.11 Fazit

Die Handlungsempfehlungen des vorliegenden Jahresgutachtens des AKTIONSRATS BILDUNG wären vor zehn Jahren nicht formulierbar gewesen, weil der Forschungsstand ein verantwortbares Urteil und vor allem verantwortbare Empfehlungen gar nicht erlaubt hätte. Das ist heute anders. Gleichwohl ist die Bildungsforschung von einer Datenbasis, wie sie beispielsweise dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vorliegt, noch weit entfernt, und sie wird im Gegensatz zu ökonometrischen Analysen immer auch qualitative Betrachtungen enthalten müssen. Das ist wichtig zu wissen, damit in der Rezeption keine Scheingenauigkeit suggeriert wird.

Die vorgelegten Handlungsempfehlungen befinden sich deshalb auf einem mittleren Abstraktionsniveau und sind in der politischen wie der pädagogischen Praxis vor Ort zu spezifizieren. Wollte man sie weiter verallgemeinern und gleichsam auf drei Formeln bringen, so lautete ihr Fazit etwa so:

Bildungsungerechtigkeit ist ein Syndrom, für das mindestens drei Faktoren ursächlich sind:

- Barrieren beim Zugang zu einzelnen Stationen des Bildungssystems.

- Ein hermetischer Abschluss der einzelnen Teile des Bildungssystems gegeneinander.

- Eine kollektive Verantwortungslosigkeit gegenüber dem niedrigen Leistungsstand des Bildungssystems.

Diese Faktoren müssen neutralisiert werden. Dazu sind erforderlich:

- Eine frühe Öffnung des gesamten Bildungssystems für Lernende, unabhängig von Geschlecht, sozialer und ethnischer Herkunft sowie gesellschaftlicher Zugehörigkeit.

- Eine systematische Durchlässigkeit an den Grenzen der einzelnen Bildungseinrichtungen für möglichst lange Phasen der Lernbiografie.

- Die Durchsetzung eines Systems der Qualitätssicherung für Unterricht, Prüfungen und das pädagogische Personal im Sinne persönlicher Verantwortung für den Lernerfolg der Schüler.
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p157
folgt: Literaturliste


[ Anmerkung: CHARTER SCHOOL - spezielle Schulform (USA, `Trust School' in UK), beruhend auf einem Vertrag ("charter") zwischen Schulmanagement und Schulbehörde ("Vertragsschule"). In der Regel werden Charter Schools zBsp. in Wisconsin administrativ durch den jeweils autorisierenden Schulbezirk in Person eines sogenannten "lead teacher" verwaltet.
Hinter Vertragsschulen steht eine ökonomische Idee von Milton Friedman. Milton Friedman, Vertreter der Chicago-School of Economics, bemühte sich sehr um die Einführung von Schulgutscheinen
]
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Soft skills - Was ist Bildung ?

soft skills (engl) : soziale Kompetenz, Sozialkompetenz

ℵ ∀ ℵ
Der Mensch lebt nur, um zu lernen. Und wenn er lernt, dann nur, weil dies sein Los ist, zum Guten oder zum Schlechten                
(cf hier)

ℵ ∀ ℵ
Der Bildungsphilister ist so ungebildet wie der, der gar nichts weiß                 (cf hier (Mitscherlich))
(und hier (Nietzsche))

ℵ ∀ ℵ
Die beste mir bekannte Definition von Bildung lautet:
Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn ich alles vergesse, was ich jemals gelernt habe
(Einführung zu `Bildungsgerechtigkeit, Elternmitwirkung, Selbstevaluation, Vergleichsarbeiten', November 2007)
[ in eckigen Klammern und farbig gehalten stehen Ergänzungen zum usprünglichen Text]
Dies bringt uns sofort zum Thema der erneuten Reform der gymnasialen Oberstufe mit ihrer Schwächung musischer Wahlmöglichkeiten. Kernfächer versus "Neben"fächer. Obwohl unserer, inzwischen ehemaligen, "Arbeitsgesellschaft" die Arbeit mehr und mehr ausgeht - manche reden bereits von der Zwei-Drittel-Gesellschaft - wird alles unter dem Blickwinkel der ökonomischen Verwertbarkeit gesehen. Die Nach-kommenden werden durch die vorverlegte Einschulung eines Jahres ihrer Kindheit beraubt - um theoretisch früher in den Erwerbsprozess eintreten zu können, in der Realität aber häufig, um dann [ - wenn sie nicht mit durchschnittlich 19.3 Jahren, also erst drei bis vier Jahre nach dem Haupschulabschluss, in das duale Ausbildungssystem eintreten - ] entweder als von Beginn ihres Berufslebens an Erwerbslose oder als frühzeitig (derzeit mit etwa 50 Jahren) Ausgemusterte nicht zu wissen, was mit der "geschenkten" Zeit sinnvolles anzufangen sei, da die Dimension des spielerischen Umgehens zu wenig kennend, da nicht ausreichend geschult in den "soft skills", im Umgehen mit sich selbst, jenseits der nützlichen Funktion
Bildungsgerechtigkeit kann in der Post-industriellen Gesellschaft meines Erachtens nur bedeuten, jedem alle Optionen nahezubringen, ihn zu befähigen, zu den beiden Dritteln der im traditionellen Sinne Erwerbenden zu gehören, oder aber zum Drittel derjeniger mit "kreativer" Biographie. Die Eingliederung in das Gemeinwesen der durch die Effizienz der Arbeitsteilung "Freigestellten" ist eine nationale Aufgabe, welche nicht etwa einseitig der Industrie/Wirtschaft aufgebürdet werden kann, wie immer wieder in Form einer "Ausbildungsplatzumlage" gefordert wird

Ich will mein Anliegen provokant so formulieren:
Eine Gesellschaft, die nur noch für zwei Drittel ihrer Mitglieder Arbeitsplätze zur Verfügung stellen kann, muss ein Drittel der Schulabgänger zu qualifizierten Arbeits-losen ausbilden
Als "Arbeits-loser" in diesem Sinne ist auch ein Unternehmer/Selbständiger/(Lebens)Künstler zu verstehen
"Ein Drittel" bedeutet: jeder Schüler muss das für die "Arbeits-losigkeit" notwendige Rüstzeug erhalten, ein Drittel der Lern-zeit muss den Sozialkompetenzen gewidmet sein. Die Bildungs-Inhalte müssen den Veränderungen in Gesellschaft und Markt Rechnung tragen, denn Arbeit ist nicht mehr der alles kittende Leim. [ Die große Herausforderung des Zeitgeistes besteht darin, sich von der Kategorie "Arbeit" als Scheidewasser des Sozialen Lebens zu verabschieden ]

Diese Veränderungen müssen notwendig auch in die LehrerAus- und -weiterbildung hineinwirken, wie folgender Auszug aus einem Interview mit dem Dirigenten Nikolaus Harnoncourt, Gründer des Ensemble "Contentus Musicus", welches Alte Musik auf Originalinstrumenten aufführt, verdeutlicht:
Anmerkung des Interviewers: "Musik spricht nicht zu jedem"
Harnoncourt: "Es gibt Menschen, die gewisse Dinge nicht hören können, das ist eine organische Fehlleistung, vergleichbar mit der Farbenblindheit. Wenn es heißt, meine Kinder können nicht singen, dann würde ich sagen, die Eltern sind schuld, weil sie nicht mit ihren Kindern gesungen haben.
Es kann praktisch jeder singen. Er muss die Töne finden; um das zu können, muss er es von klein auf tun. Der unmusikalische Mensch ist der, der das Pech hatte, dass er in seiner Umwelt keine Berührung mit Musik hatte. Wir sind uns weltweit einig, dass jeder Mensch ein Recht darauf hat, rechnen, schreiben und lesen zu lernen.
Interviewer: "Und jeder sollte singen lernen?"
Harnoncourt: "Natürlich! Unbedingt! Heute ist man leider nicht mehr der Meinung, dass die Schule auch ihre phantastische Seite zu bilden hat mit der Kunst. Es gab früher keinen Volksschullehrer, der nicht singen, nicht Geige oder Klavier spielen konnte. Es wird in den letzten Jahrzehnten zunehmend die Brauchbarkeit des Menschen, die Nützlichkeit, in den Vordergrund gestellt, eine die Habgier als Hauptlebensziel hervorhebende Nützlichkeit"

Spätestens dann, wenn wir uns klar machen, dass jeder unserer erfolgreichen Abiturienten eines Tages einen Harz-IV-Empfänger wird durchfüttern müssen, einfach weil jener nie über den Horizont "Arbeit (gut) / keine Arbeit (schlecht)" hinauszublicken gelehrt wurde, müssen wir erkennen, dass es besser für uns ist, alle Menschen das Singen zu lehren
Soll die Schule der Zukunft erfolgreich sein, wird sie der Realität und deren Entwicklungen die Tür mehr als nur einen Spalt weit und nicht nur in Form des Jugendbegleiters öffnen müssen
Wenn der beschrittene Weg der Operativ Eigenständigen Schule konsequent weitergegangen wird, muss die Schule sich selbst ein Profil geben und dies auch können; geformt auch und gerade durch den Kundenwunsch

Hier bietet der neue § 114 SchulGesetz einen "Messfühler" am sozialen Puls der Schule. Die Einbindung der Eltern als Kunden und letztlich auch Zahlmeister der Veranstaltung Schule ist dabei zwingend notwendig

Die Vergleichsarbeiten andererseits stellen einen "Messfühler" am didaktischen Puls der Schule dar und sollten vor allem nicht zur Leistungsmessung der Schüler sondern vor allem derjenigen des Lehrbetriebes genutzt werden
[ Prof. Dr. Ulrich Herrmann in SiB 2_2007/2008p4ff
Und ein anderer Gesichtspunkt sollte laut Herrmann aus geschichtlicher Perspektive nicht vergessen werden: Die "normierte" Beurteilung von Schülerleistungen (Ziffernnote) sei in Deutschland im ausgehenden 19. Jahrhundert eingeführt worden, um die Unterrichts-"Leistung" der Lehrer (Frauen gab es damals in diesem Beruf noch nicht) nachprüfen zu können. Die Ausgangsvermutung lautete: Wenn der Lehrer sich an den Lehrplan und die Lehrbücher hält und seinen Unterricht lernfördernd gestaltet, müsste jedes Kind das (niedrig genug gehängte) Schulziel erreichen. Die Schülerleistung wurde als Entsprechung der Unterrichtsbefähigung des Lehrers und die Schülernote als Indiz für die Unterrichtsqualität interpretiert. Diese Kausalitätszuschreibung sei jedoch binnen Kurzem zunächst entkoppelt - schon Zeitgenossen hätten dies um 1900 beklagt! - und dann, besonders in den "weiterführenden" Schulen, umgedreht worden: Schlechte Noten verwiesen nicht auf Defekte des Unterrichts und des Schulbetriebs, sondern auf die des Schülers und seiner Herkunft/Betreuung. Auf diese Tradition sei das Diktum von Franz E. Weinert gemünzt: "Die Schule macht aus schlechten Noten schlechte Schüler!"
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Aber man muss keinen scharfen Blick auf die Zeitläufte haben, um dichten zu können. Großschriftsteller wie Thomas Mann oder Knut Hamsun belehren darüber. Und vielleicht war sogar tatsächlich etwas dran, als die Preußische Akademie der Künste in den dreißiger Jahren den Schriftsteller Robert Musil, der ein großer Intellektueller war, als Mitglied ablehnte, weil er für einen Dichter zu intelligent sei.
Richard D. Precht, Sie wollen nur spielen, Warum uns neue öffentliche Denker fehlen, Essay, Der Spiegel 45/2008 p170



Bemerkungen zur Bildung

Der Spiegel, Reihe "Geschichte", No 4/2009, "Geld!", p127:
"Schluss mit dem Dagobert-Duck-Deutschland", lautet daher die Devise Bofingers, der dem Bund zur Überwindung der globalen Kluft [das globale ungleichgewicht zwischen schuldner- und schuldiger-staaten] Milliardeninvestitionen in die Bildung empfiehlt.



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