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Stichwortverzeichnis


Rentenversicherung und Generationenvertrag



In einer dem magazin `Der Spiegel', ausgabe 02/2004 seite 39, folgenden formulierung lautet der Generationenvertrag:
§ 1: Füllt in jungen Jahren die Kassen, aus denen die Renten und Pflegegelder für die Senioren fließen
§ 2: Seid fruchtbar und mehret euch, damit es in eurem alter genügend junge menschen gibt, die euch unterhalten können
[Anmerkung: Dass diese Formulierung nur die eine Hälfte der Wahrheit wiedergibt, verdeutlicht der Artikel von Jürgen Borchert unten]

Realität 2003: rund 26 prozent der 1960 geborenen frauen sind kinderlos, unter den akademikerinnen sogar 42 prozent [ebenda]. ``Trotz des gesellschaftlichen Wertewandels und trotz sinkender Kinderzahlen ist der Kinderwunsch verblüffenderweise relativ konstant geblieben: Junge Deutsche erhoffen sich heute im Schnitt 2,2 Kinder, also sogar etwas mehr als nötig, um den Bevölkerungsbestand stabil zu halten.'' Die tatsächliche geburtenzahl allerdings liegt bei 1.35 kindern (pro frau). Nur 10 Prozent gebären ein drittes kind, ``obwohl 25 Prozent in jungen Jahren von drei Kindern träumen'' [ebenda]
``Es gibt viele Methoden, sich dauerhaft zu ruinieren'', sagt Hellmut Puschmann, Ex-Pr"asident des Caritasverbandes, ``eine der erfolgversprechendsten in Deutschland ist die Gründung einer mehrköpfigen Familie.'' [ebenda]
Der anteil der indirekten steuern stieg unaufhaltsam auf 50 prozent (2003) des gesamten steueraufkommens - dies aber trifft familien wegen des (notwendigen, nicht luxuriösen) konsumbedarfes der kinder stark. ``Besonders perfide'', urteilt der hessische Sozialrichter Jürgen Borchert, wirke dabei die Ökosteuer. Zum einen zahlen Familien wegen des höheren Energieverbrauchs im Haushalt viel mehr als Kinderlose. Zum anderen finanziert Rot-Grün mit der Ökosteuer eine Senkung der Rentenbeiträge, die kinderlosen Arbeitnehmern genauso zugute kommt wie Eltern. Pro Person gerechnet hat ein Single darum dank der Senkung der Rentenbeiträge im Jahr 2000 mehr als viermal so viel eingespart wie eine vierköpfige Familie.
``Familien sind nicht arm, sie werden arm gemacht'', folgert Borchert [ebenda]

Armutsfalle Kind (tabelle nach Spiegel, s.o.)
Einkommenssituation 2004 von Durchschnittsverdienern mit einem Jahresbrutto von 30,000 Euro
Single kein Kind Ehepaar mit 1 Kind Ehepaar mit 2 Kindern Ehepaar 3 mit Kindern
Nettoeinkommen (incl Kindergeld) 18412 23847 25695 27543
Existenzminimum (steuerlich freigestellt, incl Betreuungsaufwand) 7664 21136 26944 32752
Nettoeinkommen minus Existenzminimum +10748 +2711 -1249 -5209




Kinder hatten von Anbeginn keine Lobby in unserer Republik:

Die Familien zahlen drauf - seit 50 Jahren
Am 23. Februar 1957 wurde die dynamische Rente Gesetz: Die Politiker fischten die Wählerstimmen der älteren Generation und opferten die Interessen der Eltern / Von Jürgen Borchert
(Bildunterschrift: Dr. Jürgen Borchert ist Sozialrichter in Hessen und gilt als Architekt der Verfassungsbeschwerden, die zum Trümmerfrauen- und zum Pflegeurteil des Bundesverfassungsgerichts führten)

An diesem Freitag vor 50 Jahren wurde die dynamische Rente im Bundesgesetzblatt verkündet. Seitdem ist die Höhe der Rente an die Entwicklung der Löhne und Gehälter gekoppelt. Ihren Lebensabend im Einklang mit dem Lebensstandard der Aktiven verbringen zu können, ist in guten Zeiten für Millionen Rentner ein Grund zum Feiern. Keinen Grund zur Freude haben Familien. Sie wurden Verlierer der Reform.
Der Erfinder des neuen Systems, der Ökonom Wilfried Schreiber, sah diese Entwicklung voraus. Er bezeichnete die konkrete Reform als ,,Murks" und prophezeite den Einsturz des neuen Rentenhauses. Die Politiker hätten, so klagte der Wissenschaftler, seinen Bauplan verändert und das Fundament entfernt.
Schreiber, selbst kinderlos, hatte 1955 in seiner Schrift ,,Existenzsicherheit in der industriellen Gesellschaft'' eine neue soziale Ordnung entworfen, welche die bis dahin kleinfamiliär organisierte Gesellschaft in eine soziale Großfamilie transformieren wollte. Sein Plan beruhte auf der Einsicht, dass die überkommene Alterssicherung der Familien in dem Maße versagte, in dem sich die Arbeitnehmerschaft von einer Minderheit zur 80-Prozent-Mehrheit entwickelte.
Nicht mehr die Großfamilie sorgte jetzt für die ältere Generation, sondern das Einkommen des (häufig: Allein-)Verdieners wurde zum Maßstab. Der Arbeitslohn aber nimmt keine Rücksicht auf die Zahl derjenigen, die von ihm leben müssen; er ist ,,individualistisch verengt'' und macht den unterhaltsfreien Single zum Gewinnertyp der neuen Epoche. Schreiber damals: ,,Was deshalb nottut, ist Familieneinkommen, das sowohl die Aufzucht der Kinder wie die Erhaltung der Alten ermöglicht.''
Jeder Mensch empfange in Kindheit und Alter Leistungen von anderen und müsse darum selbst auch in beide Richtungen zahlen. Deshalb seien die familiären Verteilungsverhältnisse durch soziale ,,Verträge zwischen jeweils zwei Generationen'' (Aktive Kinder und Aktive Alte) nachzubilden und der Altersrente eine ,,Kindheits- und Jugendrente'' zur Seite zu stellen; zu dieser müssten vor allem diejenigen beitragen, welche keinen Kindesunterhalt zu leisten hätten. ,,Alters- und Jugendrente müssen als Einheit gesehen werden,'' forderte der Wissenschaftler, ,,weil beiden der gleiche einheitliche Tatbestand und dasselbe Problem zugrunde liegen.'' [Dieses Modell wurde wenigstens in Ansätzen realisiert in Schweden, s.u.]
Die Politik aber hörte nur, was sie hören wollte. Während die ,,dynamische Altersrente'' 1957 einen triumphalen Einzug in Deutschland hielt, wurde die Jugendrente amputiert. Der damalige CDU-Bundeskanzler Konrad Adenauer, fast 80 Jahre alt, setzte vom Schreiber-Plan nur das um, was ihm Wählerstimmen von den Alten versprach: die Lohnersatzrente. Kinder aber, wusste Adenauer, sind keine Wähler. Sein Kalkül ging mit absoluter Mehrheit bei der Bundestagswahl 1957 auf.
[Anmerkung: Allerdings schreibt Ludwig Erhard, Bundesminister für Wirtschaft 1949 bis 1963 in seinem 1957 erschienen Buche "Wohlstand für alle": Die eigentliche Gefahr, ja die fast zerstörende Wirkung einer dynamischen Rente liegt denn auch nicht sosehr in ihrer Beweglichkeit an sich, sondern in ihrer Koppelung an die Lohnentwicklung, die durchaus über das mit der Stabilität des Geldes vereinbarte Maß hinausgehen kann.
Auf einer modifizierten Grundlage besteht hingegen die Möglichkeit einer beweglichen Anpassung der Rente an die sich ändernden Lebensgegebenheiten und Vorstellungen. Dies wäre z.B. dann der Fall, wenn als Bemessungsgrundlage eine solchen Rente der laufende Produktivitätszuwachs gesetzt werden würde]

Im Ergebnis wurden die Kosten der Alten sozialisiert, während die Kinderlasten Privatsache blieben. So wurden Eltern gezwungen, mit der Kindererziehung auf ihre Privatkosten auch die Altersvorsorge für ihre kinderlosen Jahrgangsteilnehmer zu leisten, ohne dass diese Überlast auf der Beitragsseite der lohnbasierten Sozialversicherung ausgeglichen wurde.
Durchschnittsverdiener mit zwei und mehr Kindern gerieten bald unter das Existenzminimum, denn gemessen an der Leistungsfähigkeit belastet sie derselbe Beitragssatz wie für den Single um ein Vielfaches härter. Dieser Effekt verschärft sich mit jedem Prozentpunkt Beitragserhöhung. Die Sozialversicherung wurde so zum Dynamo der Familienverarmung, je schneller die Alterung der Bevölkerung verlief. Deren Hauptantrieb wiederum wurde die wachsende Kinderlosigkeit.
Politik und Wirtschaft sahen diese aber nicht als Problem, sondern als Gewinn. Denn sie gaben der Wirtschaft und dem Rentensystem einen starken Schub: Je mehr Frauen einen Bogen um die Wickelkommode machten, desto mehr standen als Beitragszahler zur verfügung. Bundessozialminister Herbert Ehrenberg (SPD) hieß Kinderlosigkeit 1980 ausdrücklich mit dem Argument willkommen, ,,ein großer Teil der steigenden Rentenlasten könnte durch verringerte Ausgaben für den Nachwuchs kompensiert werden''.
Doppelte Kinderarmut
Mit der lohnersetzenden Rente und der Versicherungsterminologie schwand für die Mehrheit der Bevölkerung zudem das Bewusstsein für die existenzielle Abhängigkeit von der Kindergeneration. Sie wiegte sich seit 1957 in dem Glauben, die Beiträge allein sicherten die Zukunft, weshalb man auf niemanden Rücksicht nehmen müsse, schon gar nicht auf Kinder: Der Nährboden für den extremen Individualismus ohne jegliche intergenerationelle Verantwortung. Dass Deutschland heute mit einer Quote von rund 30 Prozent lebenslang Kinderlosen (ab Geburtsjahrgang 1965) mit großem Vorsprung Weltmeister in Sachen Kinderlosigkeit ist, hat seinen Grund also nicht nur in deren ökonomischer Privilegierung, sondern auch in der falschen Semantik des Rentensystems.
Von 1965 bis 2006 haben sich die Geburten auf nur noch 680000 halbiert, während sich der Anteil der Kinder in der Sozialhilfe etwa alle zehn Jahre auf heute das Sechszehnfache verdoppelte, aktuell rund zwei Millionen. Eine so hohe und schnell wachsende Quote von Kindern in relativer Armut weist kein anderes führendes Land in Europa auf: Gift für die Bildungfähigkeit und den Produktivitätsfortschritt, denn dieser ist das Endprodukt einer Produktionskette, die in den Familien mit der Erziehung lernfähiger Kinder beginnt.
[Anmerkung: zur Wirkung der Verteilung von Bildung siehe die Zusammenfassung der Studie (auf Deutsch) International Adult Literacy Survey - Literacy scores, human capital and growth across 14 OECD countries von Serge Coulombe, Jean-François Tremblay und Sylvie Marchand, Department of Economics, University of Ottawa, Canada, veröffentlicht vom Canadischen Ministerium für Industrie, 2004 ]

Die Spirale der doppelten Kinderarmut ist demokratisch nicht mehr zu stoppen. Denn der Nachwuchs hat keinen Gesellschaftlichen Patron, der seine Interessen vertritt. Das Bundesverfassungsgericht als politisches Gleichgewichtsorgan kann solchen Fehlentwicklungen zwar Grenzen setzen. Es hat den Gesetzgeber 1992 mit dem ,,Trümmerfrauenurteil'' und 2001 dem ,,Pflegeurteil'' auch tatsächlich zur Behebung des Kardinalfehlers von 1957 verpflichtet. Angesichts der 70-prozentigen Mehrheit Kinderloser (einschließlich der Eltern erwachsener Kinder) verweigert der Bundestag die Korrekturen aber stur: Gute nacht, Deutschland!

Süddeutsche Zeitung, Forum, 23mar2007


[Anmerkung zum
verunglückten deutschen Rentensystem: "Familienpolitische Transfers in Schweden unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von den Leistungen der anderen Länder [der Untersuchung: Deutschland, Frankreich, Großbritannien]. Zum einen ist ihre Finanzierung zu großen Teilen über die sogenannte Elternversicherung organisiert. Diese ist verwaltungstechnisch an die Krankenkassen angegliedert, stellt aber einen eigenständigen Teil des Sozialversicherungssystems dar (Schwedisches Institut 2004). Alle Erwerbstätigen zahlen in die Versicherung ein, so dass darüber ein Ausgleich zwischen Personen mit und ohne Kindern stattfindet. .... Eine fiskalpolitische Familienpolitik spielt in Schweden keine Rolle. Die finanzielle Situation von Familien in Schweden stellt sich im Vergleich dennoch am positivsten dar: Die Armutsraten sind hier für alle Haushaltsformen am niedrigsten."
Anneli Rüling und Karsten Kassner, Familienpolitik aus der Gleichstellungsperspektive, Ein europäischer Vergleich, Friedrich Ebert Stiftung, Forum Politik und Gesellschaft, 2007, p85 ]



Renten auf Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft - Der Ordoliberalismus

Die Freiheit des Einzelnen und das Sicherheitsdenken - Der Weg zur Knechtschaft - Hayek


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