Da die ganze Metaphysik künftig in die Moral fällt -
wovon Kant mit seinen beiden praktischen Postulaten nur ein
Beispiel gegeben, nichts erschöpft hat - so wird diese Ethik
nichts anderes als ein vollständiges System aller Ideen, oder, was
dasselbe ist, aller praktischen Postulate sein. Die erste Idee ist
natürlich die Vorstellung von mir selbst als einem absolut
freien Wesen. Mit dem freien, selbstbewussten Wesen tritt zugleich
eine ganze Welt - aus dem Nichts hervor; die einzig wahre und
gedenkbare Schöpfung aus nichts . Hier werde ich auf die Felder
der Physik herabsteigen; die Frage ist diese: Wie muss die Welt für
ein moralisches Wesen beschaffen sein? Ich möchte unserer
langsamen, an Experimenten mühsam schreitenden Physik einmal wieder
Flügel geben.
So - wenn die Philosophie die Ideen, die Erfahrung die
Daten angibt, können wir endlich die Physik im Großen bekommen,
wie ich von späteren Zeitaltern erwarte. Es scheint nicht, dass die
jetzige Physik einen schöpferischen Geist, wie der unsrige ist, oder
sein soll, befriedigen könne.
Von der Natur komme ich aufs Menschenwerk . Die
Idee der Menschheit voran, will ich zeigen, dass es keine Idee vom
Staat gibt, weil der Staat etwas mechanisches ist, so wenig, als
es eine Idee von einer Maschine gibt. Nur was Gegenstand der
Freiheit ist, heisst Idee.
Wir müssen also auch über den Staat
hinaus - Denn jeder Staat muss freie Menschen als mechanisches
Räderwerk behandeln; und das soll er nicht; also soll er aufhören.
Ihr seht von selbst, dass hier alle die Ideen, vom ewigen Frieden usw,
nur untergeordnete Ideen einer höheren Idee sind. Zugleich
will ich hier die Prinzipien für eine Geschichte der Menschheit
niederlegen, und das ganze elende Menschenwerk von Staat, Verfassung,
Regierung, Gesetzgebung - bis auf die Haut entblößen.
Endlich kommen die Ideen von einer moralischen Welt, Gottheit,
Unsterblichkeit, Umsturz alles Afterglaubens, Verfolgung des
Priestertums, das neuerdings Vernunft heuchelt - durch die Vernunft
selbst. Das ist die absolute Freiheit aller Geister, welche die
intellektuelle Welt
in sich tragen, und weder Gott noch Unsterblichkeit außer sich
suchen dürfen.
Zuletzt die Idee, die alle vereinigt, die Idee der Schönheit,
das Wort in höherem platonischem Sinne genommen. Ich bin nun
überzeugt, dass der höchste Akt der Vernunft, indem diese alle
Ideen umfasst, ein ästhetischer Akt ist, und dass Wahrheit
und Güte nur in der Schönheit
verschwistert sind - Der Philosoph muss eben so viel
ästhetische Kraft besitzen als der Dichter. Die Menschen ohne
ästhetischen Sinn sind unsere BuchstabenPhilosophen. Die
Philosophie des Geistes ist eine ästhetische Philosophie.
Man kann in nichts geistreich sein, selbst über Geschichte kann man
nicht geistreich raisonieren - ohne ästhetischen Sinn. Hier soll
offenbar werden, woran es eigentlich den Menschen fehlt, die keine
Ideen verstehen - und treuherzig genug gestehen, dass ihnen alles
dunkel ist, sobald es über Tabellen und Register hinaus geht.
Die Poesie bekommt dadurch eine höhere Würde, sie wird
am Ende wieder, was sie am Anfang war - Lehrerin der Menschheit;
denn es gibt keine Philosophie, keine Geschichte mehr, die
Dichtkunst allein wird alle übrigen Wissenschaften und Künste
Überleben.
Zu gleicher Zeit hören wir so oft, der große Haufen
müsse eine sinnliche Religion haben.
Nicht nur der große Haufen, auch
der Philosoph bedarf ihrer. Monotheismus der Vernunft und des Herzens,
Polytheismus der Einbildungskraft und der Kunst, dies ist, was wir
bedürfen!
Zuerst werde ich hier von einer Idee sprechen, die, soviel
ich weiss, noch in keines Menschen Sinn gekommen ist - wir müssen
eine neue Mythologie haben; diese Mythologie aber muss im Dienste der
Ideen stehen, sie muss eine Mythologie der Vernunft werden.
Ehe wir die Ideen ästhetisch, dh mythologisch machen, haben
sie für das Volk kein Interesse; und umgekehrt, ehe die
Mythologie vernünftig ist, muss sich der Philosoph ihrer schämen.
So müssen endlich Aufgeklärte und Unaufgeklärte sich die Hand
reichen, die Mythologie muss philosophisch werden, und das Volk
vernünftig, und die Philosophie muss mythologisch werden, um die
Philosophen sinnlich zu machen. Dann herrscht ewige Einheit unter uns.
Nimmer der verachtende Blick, nimmer das blind Zittern des Volkes
vor seinen Weisen und Priestern. Dann erst erwartet uns gleiche
Ausbildung aller Kräfte, des Einzelnen sowohl als aller
Individuen. Kein Kraft wird mehr unterdrückt werden, dann herrscht
allgemeine Freiheit und Gleichheit der Geister! - Ein höherer
Geist vom Himmel gesandt muss diese neue Religion unter uns stiften.
Sie wird das letzte, größte Werk der Menschheit sein.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel,
Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus
cf Platon - Politeia
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