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Lohn der Angst (Artikel in Auszügen
und zwei Anhänge)
Der Job ist nicht alles
Der Lohn der Angst
*
Automation und Fortschritt, Wissensarbeit und Kapitalismus
vernichten Arbeitsplätze. Und das ist gut so.
Es geht nämlich auch anders
Von Wolf Lotter
Aus dem Wirtschaftsmagazin
`brand eins'
07/2005, November 2005:
ARBEIT - Nie wieder Vollbeschäftigung! - Wir haben besseres zu tun.
I. Die Maßnahme
....
Wer heute nicht ans Paradies glaubt, kommt nicht in den Himmel, sondern nach
Eidelstedt. Dort, im kleinbürgerlichen Stadtteil im Nordwesten Hamburgs,
wird noch hochgehalten, was immer weniger bringt: Erwerbsarbeit.
Dort kämpfen die letzten Helden der Vollbeschäftigung für
den Endsieg der Vollerwerbsgesellschaft. Der Arbeitslose, an sich ein
funktionsloses Glied der Arbeitsgemeinschaft aller Deutschen,
soll nicht verlernen, worauf Wohl und Wehe
des Vaterlands gebaut sind: Arbeiten. Koste es, was es wolle.
.... Gewöhnung ist überhaupt das A und O des Arbeitslebens,
und deshalb rücken die Erwerbslosen im Alter von 40 bis 55
Jahren bereits um sechs Uhr früh an, zum Morgenappell.
Jobs gibt es keine und auch nichts zu tun, was für irgendjemanden Sinn
ergeben könnte....
All das spielt, wie gesagt, nicht in einer Irrenanstalt, sondern in
Deutschland. Viele im Arbeits-Trainings-Camp in Eidelstedt haben Kinder, die
gute Chancen haben, demnächst eine ähnliche Maßnahme
zu erhalten. Sie alle hier haben Familie, Freunde. Was kostet es,
haben zu wollen, was es nicht mehr gibt?
In Eidelstedt und anderswo ist der Preis klar: die Würde.
[cf. zBsp. hier
]
II. Die Arbeitslüge
....
Schon die Phrase von der Rückkehr zur Vollbeschäftigung ist
eine Farce. Zu keinem Zeitpunkt des Industriekapitalismus, der seit
fast zwei Jahrhunderten
währt und der ohne Zweifel die meisten Beschäftigten aller
Zeiten generierte,
gab es so etwas Ähnliches wie Vollbeschäftigung für
mehr als einige kurze,
außergewöhnliche Jahre. Was die Arbeitswütigen meinen,
umschreibt den Zeitraum
von Anfang der fünfziger bis Ende der sechziger Jahre des vergangenen
Jahrhunderts. Das ist die Zeit, die bis heute als unverrückbares
Ziel dieser Gesellschaft beschworen wird: das deutsche Wirtschaftswunder.
Es stützt sich allerdings auf 60 Millionen Tote, die Opferzahl des
Zweiten Weltkriegs.
[Noch im 4. Jahrhundert n.Chr. wird Alexandria in einem lateinischen Brief,
der apokryph Hadrian zugeschrieben wurde, folgendermaßen beschrieben:
"Seine Einwohner sind aufrührerisch, arrogant und
gewalttätig;
die Stadt ist reich und wohlhabend, niemand ist ohne Beschäftigung. Der
eine bläst Glas, ein anderer macht aus Papyrus Papier, wieder ein anderer
webt Flachs. Jeder scheint ein Handwerk auszuüben. Die Gichtkranken, die
Blinden, alle sind sie beschäftigt. Selbst die Krüppel frönen
nicht dem Müßiggang. Ihr einziger Gott ist das Geld, verehrt von
Christen, Juden und allen übrigen. Wenn diese Stadt höhere
moralische Prinzipien hätte ..."
Dieser anonyme römische Autor hält den Fleiß für
moralisch verwerflich, er sieht darin ein Zeichen eines
gotteslästerlichen Sehnens nach Reichtum.
.... Strabon sagt, zu seiner Zeit habe Alexandria weit mehr exportiert als
importiert, was jeder nachprüfen könne, der vergleiche wie tief die
Schiffe bei ihrer Ankunft und bei ihrer Abfahrt im Wasser lagen.
.... Die Sklaverei besaß im Königreich der Ptolemäer
keineswegs die Bedeutung und die Charakteristika, die ihr im klassischen
Griechenland und in Rom zukamen ... waren sie in erster Linie in den
Haushalten zu finden.
Aus Lucio Russo, Die vergessene Revolution oder die Wiedergeburt des antiken
Wissens, Rom 2003, Springer Berlin Heidelberg New York 2005, p297f sowie 301.
Als Quellen sind angegeben
Historia Augusta: Firmus Saturninus Proculus et Bonosus, VIII §§5-7
(zB in Loeb Classical Library Bd. 263), bzw
Strabon, Geographia, XVII, i §7
]
Ein Land, in dem praktisch alles neu aufgebaut werden musste, wofür
zudem kaum männliche Arbeitskräfte zur Verfügung standen,
hat zu tun - keine Frage. Doch nie gab es Vollbeschäftigung in ganz
normalen Zeiten.
Bereits 1966 musste der
Konstrukteur der Währungsreform und des mystischen Wirtschaftswunders,
Ludwig Erhard, von seiner Kanzlerschaft zurücktreten.
Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik war es nicht gelungen,
das Bruttoinlandsprodukt zu steigern.
Und die Arbeitslosigkeit, die seit 1949 als besiegt galt, stieg auf 0,7
Prozent.
Seither herrscht eine Allparteien-Einigkeit, über die Wirklichkeit
hartnäckig hinwegzureden. ``Ein Schweigegelübde unseres
Establishments'', hat das der
ehemalige SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz genannt.
Glotz gehörte in den achtziger Jahren zu den ersten Vertretern
dieses Establishments, der dieses Schweigen brach.
Seine These von der Zwei-Drittel-Gesellschaft besagte, dass immer weniger
Menschen gebraucht würden, um die sagenhaften Produktivitätsgewinne
der modernen Ökonomie zu erwirtschaften.
``Der Rest kann das Spiel nicht mitspielen
oder will es nicht. Die leben von Vermögen, Erbschaften, Sozialhilfe,
Schwarzarbeit, Omas Rente - kurz und gut, sie bringen sich irgendwie
über die Runden.'' Die These des einstigen SPD-Vordenkers ist heute
bestätigt: Gut 15 Millionen Bundesbürger leben in den
Verhältnissen, die Glotz beschrieb - ein Drittel davon registriert als
Arbeitslose, der Rest lebt vom Ersparten oder
schlägt sich mit Gelegenheitsarbeit und Schwarzarbeit durch,
die ein knappes Fünftel des Bruttoinlandsproduktes beträgt.
Das Gerede von Vollbeschäftigung, sagt Glotz, ist nichts weiter als
``sinnloses Geschwätz''.
[Note by menkaura:
Es gab schon früh sehende dieses kommenden -
so schrieb
Hannah Arendt
bereits 1958 in `The Human Condition' (Deutsch 1960
`Vita activa'):
`Die Neuzeit hat im siebzehnten Jahrhundert damit begonnen, theoretisch
die Arbeit zu verherrlichen, und sie hat zu Beginn unseres Jahrhunderts
damit geendet, die Gesellschaft im Ganzen in eine Arbeitsgesellschaft zu
verwandeln.
... Was uns bevorsteht, ist die Aussicht auf eine Arbeitsgesellschaft, der
die Arbeit ausgegangen ist, also die einzige Tätigkeit, auf die sie
sich noch versteht. Was könnte verhängnisvoller sein?'
siehe auch hier
Zur Bewusstseinslage der Arbeitsnation
siehe hier
]
III. Die Mühe
In der Welt der Arbeit ist nichts, wie es scheint. Arbeit, genauer:
Erwerbsarbeit, galt den antiken Denkern als so ziemlich das Letzte. Man
unterschied, wie heute wieder, Arbeit und Tätigkeit. Das eine sicherte die
nackte Existenz und entsprang immer den Notwendigkeiten. Das andere hingegen
beschrieb, was Menschen gern und freiwillig tun, selbst dann, wenn es
besonderer Leistungen und Anstrengungen bedurfte. Bei den alten Germanen wurde
das Wort für Knecht und Arbeit schließlich eins: orbu.
Das englische Wort Labour hat seinen Ursprung im lateinischen labor.
Labor heißt: Mühe.
Seit der Apostel Paulus sein ``Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen''
verkündete, ist die tägliche Mühe zur Pflicht geworden.
Im sechsten Jahrhundert gründet Benedikt von Nursia den
einflussreichsten Orden der Kirchengeschichte,
den der Benediktiner. Ora et labora heißt deren Motto
- beten und arbeiten. Sonst nichts. Darauf bauten die Erfolge
des Abendlandes für viele Jahrhunderte.
Doch trotz der allerchristlichsten Beschwörungen war Erwerbsarbeit bis zur
Industrialisierung keineswegs der Mittelpunkt des menschlichen Lebens.
[Note by menkaura:
So trägt die Verfassung Italiens (in der Prämbel? Vor langer Zeit
gelesen) das Leitbild: `Diese Republik ist auf Arbeit gegründet'
]
Dass sich die herrschende Klasse dem Müßiggang ergab,
verstand sich von selbst, aber auch die Bevölkerung schuftete,
allen Legenden zum Trotz, nicht wie verrückt.
Im Mittelalter gab es wenigstens 50 strikt arbeitsfreie Tage im Jahr.
Anstrengenden Arbeitsphasen, etwa in der Erntezeit, folgten
längere Abschnitte, in denen nur wenig gearbeitet wurde.
....
IV. Was ist neue Arbeit?
....
Der Industrialismus ist die Ursache des Arbeitswahns und in ihm liegt
gleichsam auch der Keim für das unausbleibliche Ende der
Vollbeschäftigungsgesellschaft. Das Ziel jeder Produktivitätssteigerung ist es,
mehr Ergebnis mit weniger Aufwand zu erzeugen, von den Physikern auch Arbeit
genannt. Automation ist die Folge intensiven Nachdenkens. Die logische Folge:
Je mehr Kopfarbeiter schuften, desto weniger bleibt für Handarbeiter
übrig....
.... Diese Arbeitseliten, die es auch in der
fortschrittlichen Produktion, in der Biotechnologie und anderen
Automationsbranchen gibt, werfen zwei Schatten: einen echten, der sie als
Liquidatoren der Arbeit erscheinen lässt. Schemenhaft aber wird eine
zweite Kontur sichtbar: die des Vorbilds, das wie verrückt schuftet,
das die Arbeit noch hochhält - und damit die Wertvorstellungen der
alten Arbeitsgesellschaft.
Während also, ganz nach Plan, die alte Plackerei durch Technik,
Fortschritt und Wissensarbeit beendet wird, haben all jene, die sich nicht
mehr plagen müssen, ständig ein schlechtes Gewissen.
Schizophrene Wahrnehmungen sind in Zeiten des
Wandels, der Transformation, unvermeidlich.
....
Diese Realität wird hartnäckig übersehen. Und die Konsequenz
daraus, dass mit Arbeit künftig kein Staat mehr zu machen ist, wird vom
Establishment geleugnet. Die schlichte Ursache: Macht. Wer einstellen und
entlassen kann, hat Macht über das Leben anderer. Noch größer
die Macht von Politikern, die mit Gesetzen und Reformen diese Prozesse regeln.
Ein Kanzler, der Arbeit schafft, ist mächtig, einer der das nicht schafft,
nutzlos.
[Note by menkaura:
Eine gesellschaft, die nur noch für drei viertel ihrer
mitglieder arbeitsplätze zur verfügung stellen kann,
muss ein viertel der schulabgänger zu qualifizierten
arbeits-losen ausbilden. Dies ist eine nationale aufgabe, welche nicht etwa
einseitig der `industrie' aufgebürdet werden kann, wie immer wieder
in form einer `ausbildungsplatzumlage' gefordert wird.
Die bildungs-inhalte müssen den veränderungen in gesellschaft
und markt rechnung tragen (arbeit ist nicht mehr der alles
kittende leim);
wobei ein arbeits-loser in diesem sinne auch ein
unternehmer/selbständiger/(lebens)künstler sein kann,
und `ein viertel' bedeutet: jeder schüler muss das für
die `arbeits-losigkeit' notwendige rüstzeug erhalten.
Eine beispielhafte gesellschaft siehe
hier
]
V. Arbeitslosigkeit ist Erfolg
....
Tatsächlich ist es keineswegs nötig, dass in Deutschland noch
26,5 Millionen unselbstständig Erwerbstätige ihrer Erwerbsarbeit
nachgehen. Lothar Späth und der frühere McKinsey-Manager
Herbert A. Henzler haben im Jahr 1993 eine Berechnung angestellt:
Was würde passieren, schöpfte man das technisch machbare
Automationspotenzial in der Bundesrepublik voll aus? Die Antwort: Eine
Arbeitslosigkeit von 38 Prozent wäre normal....
.... Wenn Arbeit aber vor allem geistige
Tätigkeit ist, also Wissensarbeit - wie sollte Umverteilung dann
funktionieren? Durch Gehirntransplantationen?
VI. Das Recht auf Zuchthaus
....
.... Die Idee eines an keine Bedingungen geknüpften Grundeinkommens,
das mit minimalem bürokratischem Aufwand verteilt und zur Vermeidung der
elementarsten Existenzsorgen dienen sollte, faszinierte etwa Albert Einstein,
der im ``Recht auf Arbeit'' nichts anderes erkennen konnte als das
''Recht auf Zuchthaus''.
Ökonomen und Sozialwissenschaftler plädieren seit Jahrzehnten
dafür, die
vorhersehbaren Folgen der ausklingenden Arbeitsgesellschaft durch ein
Grundeinkommen für alle Bürger abzufedern.
Der Unterschied zur Sozialhilfe und
ihre vielfältigen Erscheinungsformen ist einfach: Ein Grundeinkommen, auch
Bürgergeld genannt, wird ohne Prüfung, bedingungslos sozusagen, jedem
Staatsbürger zuerkannt.
Es dient der Sicherung der Existenz. Es wird bezahlt
wie ein Gehalt und ersetzt in fast allen bekannten Modellen die Vielzahl
öffentlicher Almosen, die den Sozialstaat heute so heillos
überfrachten.
Die Idee vom Geld für alle lässt sich ideologisch nicht verorten. Der
amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedman propagierte sie schon
1962: Wer unterhalb einer bestimmten Einkommensschwelle bleibt, erhält vom
Staat einen festen Betrag. Finanziert wird diese negative Einkommenssteuer
durch Steueraufkommen....
....
Denn wo ein Grundeinkommen den Lebensstandard sichert, braucht man weder
Sozialhilfe noch Arbeitslosengeld, kein Rentensystem oder Kindergeld - und auch
nicht die unzähligen weiteren Hilfen und Subventionen, die heute nach dem
Gießkannenprinzip verteilt werden.
VII. Das Recht der Bürger
Der Frankfurter Sozialwissenschaftler Sascha Liebermann ist einer der
Initiatoren der Plattform ``Freiheit statt Vollbeschäftigung'', in der
Wissenschaftler aller Disziplinen Argumente für ein bedingungsloses
Grundeinkommen zusammentragen. Er sieht die gegenwärtige Lage nicht
tiefschwarz, im Gegenteil: Langsam sei die Voraussetzung geschaffen, dass sich
die Energie verzehrenden Existenzängste und Nöte
der Menschen in positive Bahnen lenken lassen:
``Die Arbeitslosigkeit ist das Resultat eines riesigen
Erfolges des gelungenen Projektes, mit immer weniger Arbeit immer mehr zu
produzieren. Und es ist doch ganz klar, dass wir nur einen Mechanismus
brauchen, damit möglichst viele davon profitieren.
Sehen Sie mal, was wir mit
jungen Menschen machen: Der Druck, der auf Jugendlichen lastet, ist der Feind
jedes Wagnisses. Die werden von allen Seiten angelabert, dass sie sich einen
der wenigen noch verfügbaren Vollerwerbs-Arbeitsplätze
erkämpfen sollen.
Deshalb riskieren sie nichts. Sie haben Angst,
unter die Räder zu kommen.''
Die Frage, sagt Liebermann, sei nicht: Wie schaffe ich es, das alte System
weiterhin zu finanzieren? Die Frage lautet: Wir kriegen wir ein System hin,
bei dem die ungeheuren Möglichkeiten der Automation ihren Nutzen
entfalten? Statt Milliarden an Steuergeldern und praktisch alle Energie
auf die sinnlose Debatte um den Erhalt der Vollbeschäftigungsgesellschaft
zu lenken, wäre es dringlicher, die Grundlagen einer sozialen
Grundsicherung für alle auszuarbeiten. ``Das ist die wichtigste Arbeit,
die wir in der Transformation zu leisten haben.
Dabei entsteht ein
kleiner, aber starker Staat,
dessen einzige Aufgabe die Sicherung des Rahmens ist.
Und in dem man keine riesige Sozialadministration mehr braucht.''
....
Der Historiker [Paul Nolte, Freie Universität Berlin]
steht mit dieser Meinung einer wachsenden Zahl von Ökonomen
gegenüber, die im Konsum nicht das Problem,
sondern die Lösung der Krise sehen.
Genauer: in der höheren Besteuerung von Konsum aller Art.
Fast jedes europäische Land hat deutlich höhere Verbrauchs-
oder Konsumsteuern als Deutschland. In den neuen osteuropäischen
EU-Mitgliedsstaaten gilt praktisch durchgängig das Prinzip,
Arbeit und Produktion, also die Wertschöpfungskette,
gering zu besteuern. Umso stärker wird zugelangt, wenn es um Konsum geht.
Die Methode hat mehrere Vorteile.
Steuern werden dort erhoben, wo Waren und Dienstleistungen gekauft werden.
Egal, wo die Maschine steht, auf der sie produziert wurden. Unerheblich,
ob die Idee aus Japan oder den USA stammt. Und ganz nebensächlich,
ob der dazugehörige Kapitalist in einem Steuerparadies sitzt oder
vor Ort. Bezahlt wird hier und jetzt. Damit brechen die wesentlichsten
Argumente gegen die Globalisierung zusammen. Zugleich wäre es durchaus
nützlich, wenn eine Volkswirtschaft, die auf Konsumsteuern setzt,
auch der Automation freien Lauf lässt. Der
Kapitalismus könnte ungebremst produzieren, also tun, was er kann.
Zwei Argumente werden dagegen immer wieder angeführt: Durch höhere
Verbrauchssteuern reduziere sich der Konsum. Das lässt sich, bei einer
ausgewogenen Entlastung bei den Kapital- und Arbeitssteuern, in keiner anderen
Nation beobachten. Und: Eine Grundsicherung, Bürgergeld, Grundeinkommen,
zerstöre die Erwerbsarbeitsmoral. Aber taugt ein so eindeutig
schwindender Wert wirklich noch zur Leitkultur?
VIII. Tätigkeit
.... [Peter Glotz:]
``Kein Mensch würde nur auf die Grundsicherung vertrauen.
Die würden schon weiterhin was tun.''
[Note by menkaura:
Dass ein Bedingungsloses GrundEinkommen (BGE) den aktiven teil der
bevölkerung nicht zur trägheit verführen wird, erhellt sich
bereits aus der tatsache, dass `Der Anteil mit Leuten in den niedrigen
Einkommensklassen, etwa unter 2000 Euro monatlich, {ist} bei
Selbstständigen deutlich höher ist als bei Arbeitnehmern',
sagt Uwe Fachinger vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität
Bremen - in
`brand eins'
11/2006 p145
]
Doch ein Problem sei geblieben: ``Keine Partei findet das gut. Denn an
der Arbeit hängt auch die Macht der Parteien und Organisationen.''
Das Gerede von der Arbeit als einzigem Sinnstifter unserer Existenz ist ein
``Herrschaftsinstrument'', wie Ralf Dahrendorf schon vor mehr als
zwei Jahrzehnten erkannte:
Nicht um die Arbeit gehe es den Machthabern, sondern um sich selbst,
um die Möglichkeit, den Reichtum der Bürger so zu verteilen,
wie es ihnen passt. Deshalb sind die Mächtigen um die Arbeit besorgt,
sagt Dahrendorf: ``Wenn sie ausgeht, verlieren die Herren der
Arbeitsgesellschaft das Fundament ihrer Macht.''
IX. Arbeiten unter Polizeischutz
.... ``Solange das Drittel, das kaum mehr etwas hat, ruhig gestellt wird, gibt
es keine wirklichen Probleme'', sagt Peter Glotz. Doch das gelingt nicht mehr
lange: ``Wenn wir so weitermachen, treiben wir das untere Drittel der
Gesellschaft in Kriminalität und Chaos. Das wird vor allem auch
für die ungemütlich, die etwas besitzen.''
[Siehe die Aufstände in Frankreich im November 2005]
Wollen wir die Leute, die in zehn, zwanzig Jahren bei Siemens arbeiten,
mit Polizeischutz zur Arbeit bringen, damit sie nicht ausgeraubt werden?
Es gehe vor allem auch um die Rechte der anderen.
Das wichtigste Argument für ein Grundeinkommen ist nicht moralischer
Natur - es ist schierer Egoismus, der Wille derer, die vorankommen wollen.
Deshalb sprechen sich heute vor allem Marktbeführworter für ein
Grundeinkommen aus: Es passt zum Kapitalismus.
Es ist gut für den Markt.
....
X. Ein echter Arbeitsmarkt
[Georg Vobruba, Professor für Soziologie in Leipzig:]
``Sozialpolitik hat vor allem den Job, den Kapitalismus, das Marktgeschehen,
von systemfremden Aufgaben zu entlasten ....
Der Markt und das Soziale gehören zusammen, als sich ergänzende
Systeme, die man nicht vermischen sollte.''
.... Mehr Effizienz hilft aber vor allem, das Überleben jenes Faktors
zu sichern, der im Sozialen eine so
große Rolle spielt: der Moral.
Die Würde des Menschen ist auch davon abhängig,
ob das Gesetz der Arbeit - was kann ich für andere tun? - Widerhall
findet. Einen Markt.
Was Langzeitarbeitslose heute in den Amtsstuben der Bundesagentur und anderswo
vorfinden, hat mit Markt nichts zu tun:
``Ein Markt lebt davon, dass Anbieter und Nachfrager weitgehend gleich stark
sind. Wo ist das heute noch der Fall?''
Bei einem Grundeinkommen etwa auf der Basis der heutigen
ALGII-Unterstützung könnten sich jene, die nicht mehr wollen,
von diesem künstlich aufgeheizten,
einseitigen Markt verabschieden. Andere, die durch Erwerbsarbeit mehr wollen,
hätten bessere Chancen. ``Waffengleichheit'' nennt das Vobruba,
und zwar eine, die allen dient:``Wir müssen nicht nur das Dogma der
Vollerwerbsgesellschaft beseitigen - wir müssen die Psychologie
durchbrechen. Eine Gesellschaft nach unten abzusichern dient dem sozialen
Frieden, und gleichzeitig bleibt der Ökonomie Luft zum Atmen.''
XI. Der Preis der Vernunft
Bleibt die Frage, was das kostet. Selbst wenn man nur das heute gesetzlich
festgelegte Existenzminimum - 7664 Euro pro Jahr und Kopf - als
Mindesteinkommen garantierte, machte das für 82 Millionen
Bundesbürger die gewaltige Summe von 620 Milliarden Euro aus: rund 200
Milliarden mehr, als der Staat an Steuereinnahmen zusammenkratzt. Auf den
ersten Blick scheint das vollkommen unfinanzierbar. Doch die gesamten
Sozialausgaben der Bundesrepublik betragen bereits heute jährlich mehr als
720 Milliarden Euro. Zieht man davon die Aufwendungen für die
Krankenversicherung ab, verbleiben 580 Milliarden Euro für Leistungen, die
ein Grundeinkommen langfristig ersetzen könnte. Und all jene, die
weiterhin in Erwerbsarbeit blieben, würden nur potenzielle Empfänger
des geregelten Einkommens ohne Arbeit werden. Tatsächlich ist nur nicht
finanzierbar, dass alles so bleibt, wie es ist.
7664 Euro, vielleicht etwas mehr, vielleicht etwas weniger, sind überdies
nicht das Paradies, nicht mal ein kleines Stück davon. Aber es wäre
ein großer Schritt weg von dem alten Aberglauben, dass der Mensch nur
etwas wert ist, wenn er leidet.
Wie verrückt dieses Dogma ist, wussten nicht nur
Tick, Trick und Track.
Schon in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts schrieb ein gewisser
Paul Lafargue, der Schwiegersohn von Karl Marx, ein kleines, kluges Buch
über ``Das Recht auf Faulheit''.
Darin beklagte sich Lafargue bitter
über die Dummheit seiner Genossen, die nichts im Kopf hatten, als das
Recht auf Arbeit zu fordern. Und er knöpfte sich jene guten
Christenmenschen vor, die allen, die nicht arbeiten wollen, das Recht auf
Essen verweigerten: ``Jehova, der bärtige und sauertöpfische Gott,
gibt seinen Verehrern das erhabenste Beispiel idealer Faulheit:
Nach sechs Tagen Arbeit ruht er auf alle Ewigkeit aus'' und weiter:
``Das Proletariat hat sich (...) von dem Dogma der Arbeit verführen
lassen. Hart und schrecklich war seine Züchtigung.''
Mehr Zitate aus Lafargue
....
* [back]
Lohn der Angst - Film von Henri-Georges Clouzot mit Yves Montant und
Peter Van Eyck, s/w 1953, Spannung und Milieustudie pur.
Vier mittellose, gestrandete Existenzen werden für
ein Himmelfahrtskommando angeheuert, einer kommt durch
A N H A N G     I          
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zu Kapitel IX Preis der Vernunft
[Aus Kapitel II. Die Arbeitslüge:]
Walt Disneys Lustige Taschenbücher sind, wenn es um die Familie Duck aus
Entenhausen geht, ein grandioses Sittenbild einer wirren Gesellschaft. Die drei
klügsten Köpfe in diesen Geschichten
- wer würde das bestreiten? - sind die Neffen des trostlosen
Systemerhalters Donald Duck. Sie heißen Tick, Trick und
Track. In fast jedem Abenteuer, das sie bestehen müssen, finden sie die
richtige Lösung. Die drei Jungenten sind gewiss nicht faul.
Aber sie kennen den Unterschied zwischen Arbeit und Tätigkeit,
zwischen sturer Routine und kreativem Problemlösen.
Sie sind eine Entscheidungselite, und sie können das
auch sehr klar ausdrücken. Ihr Motto lautet:
Wer die Arbeit kennt und sich nicht drückt, ist verrückt.
Mit dieser Einstellung würden die drei pubertierenden Enten hier zu Lande
nicht alt. ``Sozial ist, was Arbeit schafft'', behauptet die CDU,
für die SPD sind Arbeitsplätze die schönsten Plätze
in Deutschland. Die Besserverdienenden von Bündnis 90/Die Grünen
singen ``Brüder, durch Sonne zur Arbeit'', und die FDP
quengelt: ``Arbeit muss sich wieder lohnen.''
Am Ende der ideologischen Verirrungen steht die Linkspartei:
``Arbeit soll das Land regieren.''
Mit diesem Slogan kommen diese Neo-Stalinisten der Wahrheit, wenngleich
ungewollt, ziemlich nah: Ohne Arbeit, das ist der letzte gemeinsame Nenner der
politischen Psychologie, kein Staat, keine Gesellschaft. Und folgerichtig auch
kein Leben.
Schon die Phrase von der Rückkehr zur Vollbeschäftigung .... (s.o.)
A N H A N G     II          
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zu Kapitel IX Preis der Vernunft
PAUL LAFARGUE, Das Recht auf Faulheit, 1883
Widerlegung des "Rechts auf Arbeit" von 1848
in Auszügen
Den gesamten Text, in einer neuen Übersetzung, siehe hier:
hier
oder
hier
Schande über die Proletarier! Wo sind jene Gevatterinnen hin mit
frechem Mundwerk, frischer Offenherzigkeit, dem Saufen zugeneigt, von
denen unsere alten Märchen und Erzählungen berichten? Wo sind die
Übermütigen hin, die stets herumtrippelnd, stets anbändelnd,
stets singend, Leben säend, wenn sie sich dem Genuss hingaben, ohne
Schmerzen gesunde und kräftige Kinder gebaren? Heute haben wir Frauen
und Mädchen aus der Fabrik, verkümmerte Blumen mit blassem Teint,
mit Blut ohne Röte, mit krankem Magen und erschöpften
Gliedmaßen! Ein gesundes
Vergnügen haben sie nie kennengelernt und sie werden nicht lustig
erzählen können, wie man sie eroberte.
Und die Kinder? 12 Stunden
Arbeit für die Kinder. O Elend!
[Note by menkaura: Heute nicht mehr in der Fabrik, doch in der Schule
(G8). Paradox die Verkürzung der Ausbildungszeit um jeden
(sozialpsychischen) Preis bei fortwährender Verlängerung der
Lebens- und Verkürzung (zumindest der durchschnittlichen)
LebensArbeitsZeit
]
....
Bis hierher war meine Aufgabe leicht; ich hatte nur wirkliche, uns
allen leider nur zu bekannte Übel zu schildern. Aber das Proletariat zu
überzeugen, dass die zügellose Arbeit, der es sich seit Beginn des
Jahrhunderts ergeben hat, die schrecklichste Geissel ist, welche je die
Menschheit getroffen, dass die Arbeit erst dann eine Würze der
Vergnügungen der Faulheit, eine dem menschlichen Körper
nützliche Leidenschaft sein wird, wenn sie weise geregelt und auf
ein Maximum von drei Stunden täglich beschränkt wird
- das ist eine Aufgabe, die meine Kräfte übersteigt.
Nur Ärzte, Fachleute für Gesundheitsvorsorge und
kommunistische Ökonomen können sie unternehmen. In den nachfolgenden
Seiten werde ich mich auf den Nachweis beschränken, dass angesichts der
modernen Produktionsmittel und ihrer unbegrenzten
Vervielfältigungsmöglichkeiten die übertriebene Leidenschaft der
Arbeiter für die Arbeit gebändigt und es ihnen zur Pflicht gemacht
werden muss, die Waren, die sie produzieren, auch zu verbrauchen.
....
Und doch, trotz aller Überproduktion, trotz Warenfälschung
überfüllen die Arbeiter in unzählbarer Menge den Markt und rufen
flehendlich: Arbeit! Arbeit! Ihre Überzahl müsste sie veranlassen,
ihre Leidenschaft zu zügeln - statt dessen treibt sie sie zur Raserei. Wo
sich nur Aussicht auf Arbeit bietet, darauf stürzen sie sich; sie
verlangen 12, 14 Stunden, um sich richtig ausleben zu können; und tags
darauf liegen sie wieder auf dem Pflaster und wissen nicht, wie ihr
Laster befriedigen. Jahr für Jahr treten in allen Industrien mit der
Regelmäßigkeit der Jahreszeiten Stockungen ein; auf die für den
Körper mörderische Überarbeit folgt für ein bis zwei
Monate absolute Ruhe, und - keine Arbeit, kein Bissen.
Wenn nun das Arbeitslaster im Herzen der
Arbeiter teuflisch eingewurzelt ist, wenn es alle anderen natürlichen
Instinkte erstickt, und wenn andererseits die von der Gesellschaft
erforderte Arbeitsmenge notwendigerweise durch den Konsum und die Menge
des Rohmaterials begrenzt ist, warum in sechs Monaten die Arbeit des
ganzen Jahres verschlingen? Warum sie nicht lieber gleichmäßig
auf die zwölf Monate verteilen, und jeden Arbeiter zwingen, sich das
Jahr über täglich mit sechs oder fünf Stunden zu
begnügen, anstatt sich während
sechs Monaten mit täglich 12 Stunden den Magen zu verderben? Wenn ihnen
ihr täglicher Arbeitsanteil gesichert ist, werden die Arbeiter nicht
mehr miteinander eifersüchteln, sich nicht mehr die Arbeit aus der Hand
und das Brot vom Mund wegreissen; dann werden sie, nicht mehr an Leib
und Seele erschöpft, anfangen, die Tugenden der Faulheit zu üben.
....
Was die Arbeiter, verdummt durch ihr Laster, nicht einsehen wollen:
man muss, um Arbeit für alle zu haben, sie rationieren wie Wasser auf
einem Schiff in Not. Das haben sogar Industrielle im Interesse der
kapitalistischen Ausbeutung selbst verlangt: eine gesetzliche
Einschränkung der Arbeitszeit. Im Jahre 1860 erklärte einer der
größten Fabrikanten des Elsass Herr Bourcart aus Gebweiler vor
der gewerblichen Unterrichtskommision, dass »die Arbeit von 12 Stunden
übermäßig ist und auf elf Stunden reduziert werden,
dass sonnabends die Arbeit um zwei Uhr aufhören sollte.
Ich empfehle diese Maßregel, obwohl sie auf den ersten
Blick zu teuer scheint, wir haben sie in unseren Fabriken seit vier
Jahren versucht und stehen uns gut dabei; die Durchschnittsproduktion
ist gestiegen, anstatt zu fallen.«
....
Die große Erfahrung Englands liegt vor, die Erfahrung einiger
intelligenter Kapitalisten liegt vor: sie beweisen unwiderlegbar, dass,
um die menschliche Produktion zu steigern, man die Arbeitszeit
herabsetzen und die Zahl der bezahlten Feiertage vermehren muss, und das
französische Volk sieht es immer noch nicht ein. Aber wenn eine
jämmerliche Verkürzung um zwei Stunden die englische Produktion um ein
Drittel in zehn Jahren erhöht hat
[19],
welchen schwindelerregenden Vormarsch würde eine gesetzliche
Verringerung des Arbeitstages auf drei Stunden für die französische
Produktion bedeuten? Können die Arbeiter denn nicht begreifen, dass
dadurch, dass sie sich mit Arbeit überbürden, sie ihre und ihrer
Nachkommenschaft Kräfte erschöpfen, dass sie, abgenutzt, vorzeitig
arbeitsunfähig werden, dass sie, aufgesogen und abgestumpft von einem
einzigen Laster, nicht mehr Mensch sind, sondern menschliche Wracks,
dass sie alle schönen Anlagen in sich abtöten, nur der rasenden
Arbeitssucht zuliebe?
....
Die Proletarier haben sich in den Kopf gesetzt, den Kapitalisten
zehn Stunden Schmiede oder Raffinerie aufzuerlegen - das ist der große
Fehler, die Ursache der sozialen Gegensätze und der Bürgerkriege. Nicht
auferlegen, verbieten muss man die Arbeit.
....
Anmerkung von Lafargue:
[19]
Hier ist, nach dem berühmten Statistiker R. Giffen vom Büro
für Statistik in London, die stetige Steigerung des nationalen Reichtums
von England und Irland:
1814 betrug er 55 Milliarden Francs
1865 betrug er 162,5 Milliarden Francs
1875 betrug er 212,5 Milliarden Francs.
Der Job ist nicht alles
Wer allein um die Rettung von Arbeitsplätzen kämpft, zementiert das
verbreitete Bewusstsein, dass nur der etwas wert ist, der mit seiner
Tätigkeit Geld verdient. Dies schadet unserer Gesellschaft.
[Von Professor Michael Bordt, Rektor der Hochschule für Philosophie der
Jesuiten in München, Gastkommentar im Wirtschaftsteil der
Süddeutschen Zeitung vom 28may2009, p18]
Für eine gute Entscheidung sind zwei
Dinge wichtig: Erstens müssen die
übergeordneten Maßstäbe und Kriterien richtig sein, nach denen
entschieden werden soll. Zweitens müssen diese
Kriterien korrekt auf die einzelnen Fälle
angewendet werden. Bei den Entscheidungen zur Rettung großer
Unternehmen ist ein zentrales, von den Entscheidungträgern
verschiedener Politischer couleur immer wieder bemühtes Kriterium der
Erhalt der Arbeitsplätze in Deutschland. Ohne Zweifel ist dies ein
wichtiges Kriterium der Entscheidungsfindung. Schon aus sozial- und
wirtschaftspolitischen Gründen wird keiner
Arbeitsplätze im eigenen Land leichtfertig aufs Spiel setzen.
Nur, sollte der Erhalt von Arbeitsplätzen tatsächlich das
oberste und wichtigste Kriterium der Entscheidungsfindung sein?
Die Philosophin Hannah Arendt schrieb 1958 in ihrem Buch Vita activa:
" Was uns bevorsteht ist die Aussicht auf eine Arbeitsgesellschaft,
der die Arbeit ausgegangen ist, also die einzige Tätigkeit, auf die sie
sich noch versteht. Was könnte verhängnisvoller sein?"
Die Pointe ihrer zugespitzten und oft zitierten
Frage ist nicht, dass mit dem Rückgang
der Erwerbsarbeit tatsächlich das Glück eines menschlichen Lebens
gefährdet ist, sondern dass Menschen etwas neu lernen
müssen: Eine Antwort auf die Frage, ob unser Leben gelingt oder nicht,
hängt auch davon ab, ob wir einen Sinn unseres
Lebens jenseits von Erwerbsarbeit kennen.
Und hier haben wir Deutschen - und nicht nur wir - ein immenses Defizit.
Die Hoch- und Wertschätzung von Erwerbsarbeit hat eine lange Tradition,
die bis auf den Beginn des Kapitalismus im 16. Jahrhundert zurückgeht.
Max Weber, dessen Analysen zur Ethik des Kapitalismus nach wie vor zu
den begrifflich schärfsten Untersuchungen gehören, führt die
Auffassung, dass Menschen eine Pflicht zur Arbeit hätten und dass der
Wert eines menschlichen Lebens von ihrer Erwerksarbeit abhinge,
auf die Verbindung des Protestantismus
[siehe den Calvinismus im England des 18. Jahrunderts]
mit dem Geist des Kapitalismus
zurück. Die Erwerbsarbeit wird göttlich sanktioniert.
Der Wert des Lebens, der eigenen Person, ja sogar der göttlichen Gnade
lässt sich an dem Erfolg messen, den Erwerbsarbeit mit sich bringt.
Diese Auffassung ist inzwischen vom religiösen ins allgemeine,
säkulare Bewusstsein übergegangen. Tatsächlich steht jemand,
der erwerbslos geworden ist, nicht nur vor der oft außerordentlich
schwierigen Aufgabe, seine finanzielle Situation in den Griff zu bekommen und
vielleicht sogar einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Ebenso gravierend, aber
nur selten zum Thema gemacht, ist das Problem, wie er mit der Entwertung
seiner eigenen Person fertig wird, die oft mit dem
Verlust der Erwerbsarbeit einhergeht und ihren Grund auch darin hat, dass er
sich seiner Möglichkeit zum Beitrag am gesellschaftlichen Leben
beraubt sieht. Nicht wenige Menschen fühlen sich
schuldig, wenn sie - völlig ohne eigenes Zutun - ihren Arbeitsplatz
verlieren oder in Konkurs gehen müssen.
Wie zeitgebunden unsere Auffassung
ist, der Wert einer Person hinge an der Erwerbsarbeit, lehrt ein Blick
in die Geschichte. Bei allem Unrecht, das eine auf
die Arbeit von Sklaven aufgebaute Gesellschaft mit sich bringt:
Im alten Athen, der Wiege Europas - wäre kein
Vollbürger je auf die Idee gekommen, einer Arbeit nachzugehen,
um die materiellen Grundlagen seines Lebens zu Sichern.
Das bedeutet nicht, dass die Athener nichts getan und sich dem
Müßiggang hingegeben haben. Im Gegenteil:
Wer sich nicht für die Gesellschaft engagierte, wurde negativ
sanktioniert. Zum Bürgersein gehörte das Tätigsein für die
Gemeinschaft. Ein Leben gelingt dann - so die damalige
Überzeugung -, wenn man etwas tut, das für andere Menschen
oder eine Gemeinschaft oder Gesellschaft wichtig und wertvoll ist.
In anderen Sprachen, zum Beispiel dem Englischen,
gibt es eine Unterscheidung von zwei Arbeitsbegriffen,
der Arbeit zum Gelderwerb (labour) und der Arbeit als wertvolles
Tätigsein (work). Wer keine Erwerbsarbeit hat, kann nach wie
vor tätig sein. Vielleicht ist das, was er neu tut (work),
sogar viel erfüllender als seine labour vor der Erwerbslosigkeit.
Das Problem ist nur, dass wir in einer Gesellschaft leben, in
der die Arbeit, mit der jemand Geld verdient, ungleich positiver
gewertet wird als die Arbeit ohne Lohn. Besonders absurd ist es,
wenn Mütter und Väter, die Kinder großziehen,
nach wie vor von sich sagen, sie seien "nur" Hausfrau oder Hausmann,
denn ihr Beitrag für die Gesellschaft ist oft unvergleichlich
größer als viele Arbeiten, mit denen man gutes Geld
[zBsp Boni]
verdienen kann.
[Der Psychoanalytiker und Familientherapeut Bert Hellinger auf die Frage: Was
gibt den Menschen eigentlich Gewicht? "Man kann das sofort bei jedem
ablesen. Am meisten engagiert sind diejenigen, die Kinder haben. Die haben auch
das höchste spezifische seelische Gewicht"]
Aufgrund dieser Wertung fehlt aber den Erwerbslosen oft die Energie,
die Tatkraft, der Mut und Schwung, wenn es darum geht, ihr Leben neu und
anders auszurichten.
Dass Menschen sich wertlos fühlen, wenn sie erwerbslos werden,
hängt also wesentlich an unserem gesellschaftlichen Sanktionierungssystem.
Wir haben uns darauf verständigt zu meinen, dass
ein Leben durch Erwerbsarbeit wertvoller ist oder sogar seinen Werk erst
dadurch gewinnt. Nicht zuletzt hat der Wirtschaftsaufschwung dabei geholfen,
die Kriegsschuld und die traumatischen
Erinnerungen zu verdrängen, die Deutsche auf sich geladen haben und mit
denen sie leben müssen. Erfolg in der Arbeit, zudem noch positiv
gesellschaftlich bewertet und selten hinterfragt, ist ein
ebenso verlockender wie gefährlicher Fluchtort.
Die derzeitige Krise bietet eine Chance, die falsche Priorität
von Erwerbsarbeit zu korrigieren. Damit ist die Frage nach der Finanzierung
freilich noch nicht berührt. Aber wenn große gesellschaftliche
Gruppen - von Verbänden, Vereinen über Parteien, Gewerkschaften und
Kirchen - nicht nur in Sonntagsreden das Ehrenamt hochleben lassen,
sondern auch Strukturen schaffen, die Erwerbslosen helfen, sich zu
organisieren und sinnvoll tätig zu sein (work) und so ihren
Beitrag zum gesellschaftlichen Leben leisten zu können, dann wäre
ein wichtiges Problem der Erwerbslosigkeit gelöst.
Nur müssen dann auch die Entscheidungsträger damit aufhören,
davon zu sprechen, dass der Erhalt der Lohnarbeit Priorität in ihren
Entscheidungen hat. Mit solchen Sätzen stärken sie ein falsches
Verständnis von der Bedeutung der Erwerbsarbeit für den Menschen,
anstatt die Krise als Chance dafür zu nutzen, diese Zementierung
aufzubrechen.
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